Ich finde die Arbeit von Alain de Botton nicht nur großartig, weil er wunderbar meine eigene Bias bzgl. dieser Welt bestätigt, sondern auch, weil er mit The School of Life etwas ins Leben gerufen hat, das Menschen hilft, sich selbst besser zu verstehen.
Daher eine Zusammenfassung des Special Events mit Alain de Botton on emotional intelligence.
Worum ging es in dem Vortrag?
Im Wesentlichen ging es um eine allgemeine Erklärung eines Kernproblems, das Alain de Botton in der Entwicklung sogenannter moderner Gesellschaften sieht und einer der Gründe war, weshalb er The School Of Life gegründet hat.
Viele Probleme, die wir heute sehen, sind eigentlich erst entstanden, weil Menschen immer weniger Zugang zu ihren Gefühlen und Bedürfnissen haben oder diese verdrängen, um irgendwelchen gesellschaftlichen Erwartungen zu entsprechen. Dies führt jedoch zu Konflikten auf mehreren Ebenen. Vom eigenen Selbstbild bis hin zu all den Beziehungen, die wir privat, beruflich oder gesellschaftlich eingehen.
False self & true self
Die Grundlagen für diesen Teufelskreis werden früh in der Kindheit gelegt.
Das wahre und das falsche Selbst
Wer seine Gefühle und Bedürfnisse nicht kennt, nicht versteht und verdrängt, trägt eigentlich eine Art Maske (=false self). Diese Maske, ist das, was man glaubt sein zu müssen, um Liebe zu erfahren, weil man dies früh so von seinen Eltern, die einen eigentlich bedingungslos lieben sollten, gelernt hat.
“Wenn ich mache, was meine Eltern erwarten, werde ich geliebt.“
„Wenn ich den Erwartungen nicht entspreche, erfahre ich Ablehnung.”
Das Verhalten der Eltern bestimmt also darüber, ob Kinder darauf vertrauen können, geliebt zu werden, auch wenn sie den Erwartungen nicht entsprechen und ob sie in der Lage dazu sind, ihre wahren Bedürfnisse artikulieren.
Dies entscheidet wiederum darüber, ob sie dann als Erwachsene ihre Bedürfnisse und Gefühle wahrnehmen und durchzusetzen können. Nur so lernen sie, ihr True Self in einer Gesellschaft zu etablieren und das Leben zu leben, das ihnen gut tut.
Werden die eigenen Gefühle und Bedürfnisse dagegen verdrängt und zwanghaft versucht, fremden Erwartungen zu entsprechen, führt dies zu einer Diskrepanz des true mit dem false self, die sich allmählich in Unsicherheit und Unzufriedenheit äußert.
Der einzige Weg dies zu verhindern, ist zu verstehen wer man selbst ist.
Nur wer sich selbst versteht, kann auch wissen, was gut oder schlecht für ihn/sie ist.
Nur wer selbst nachsichtig mit seinen Macken ist, kann dies auch mit den Macken der anderen sein.
Alain de Botton
“Liebe ist, mit Großzügigkeit die Macken des anderen zu betrachten.”
Materialismus als Liebesersatz
Das ist gar nicht so leicht in einer Welt, die einen schon früh vermittelt, dass man viel muss und wenig darf.
In der Erfolg im Sinne externer Validierung und Materialismus definiert wird.
Jemand hat es “geschafft”, wenn er viel Geld hat.
Doch niemand fragt, was das Motiv und der Preis dieses Erfolges war.
Dies erklärt auch, warum besonders Menschen, mit Persönlichkeitsstörungen und einem starken Wunsch nach Anerkennung an die Macht kommen.
Alain de Botton verwies auch auf die Arbeit von Émile Durkheim, welcher feststellte, dass die Selbstmordraten in modernen Gesellschaften gegenüber traditionellen Gesellschaften weitaus höher waren.
Für Alain de Botton ist Materialismus oft ein Ausdruck des Wunsches nach Liebe. Menschen, denen externe Validierung und Materialismus wichtig ist, haben oft das Gefühl etwas von Außen zu brauchen. Doch dies ist lediglich Ausdruck, eines Mangels im Inneren, was man daran erkennt, dass diese Menschen in mehrfacher Hinsicht unersättlich sind. Egal was sie erreichen, es ist nie genug.
Alain de Botton
“Wenn sie jemanden mit einem besonders teuren Auto sehen, wissen sie, dass derjenige sehr viel Liebe braucht.”
Anmerkung Anna:
Der Wert eines Autos ist lediglich ein erlerntes Konzept im Kopf. Objektiv gesehen, existiert dieser nicht. Um seinen Zweck zu erfüllen, könnte man mit jedem Auto von A nach B kommen. Wenn einem das Auto selbst nicht egal ist, muss es also einen zusätzlichen Zweck erfüllen.
Wir lernen im Laufe des Lebens durch das Wertesystem unserer Gesellschaft bzw. unserer Bezugspersonen, Dinge mit Emotionen zu verbinden, was besser und was schlechter ist, was gut und was böse und was richtig und was falsch ist.
Um dazu zugehören, versuchen wir den Regeln dieses Wertesystems zu entsprechen. Wir finden das gut, was andere gut finden. Streben nach dem, was andere gut finden und fühlen uns unwohl, wenn wir etwas tun, was andere nicht gut finden.
Die Normalität der Gestörtheit
Im Laufe des Vortrages wurde auch immer wieder das Publikum mit einbezogen.
So stellte er Fragen, die zeigen sollten, dass die Macken, Ängste und Unsicherheiten jedes einzelnen, eigentlich völlig normal sind.
Dass jeder Menschen, ein wenig gestört, unwissend und fehlbar ist. Dass wir nur immer denken, wir wären allein damit, weil jeder nur das Bild von sich zeigt, dass andere von ihm sehen sollen. Selbstverständlich ist dies meist nur positiv.
Dadurch denkt jeder, er/sie sei mit seiner/ihrer Gestörtheit allein. Bei den anderen läuft alles besser, andere können alles besser und andere machen alles besser.
Doch dem ist nicht so.
Fragen an das Publikum waren u.a.:
- Wer hat eine Familie, in der es Probleme gibt?
- Wer wurde schon mal in der Liebe enttäuscht?
- Wer war hat jemand anderen schon einmal unfair behandelt?
- Wer würde gern etwas an seinem Körper verändern?
- Wer glaubt von sich ein wenig gestört zu sein?
Auf die letzte Frage meinte er, dass er dazu eine gute und eine schlechte Nachricht habe:
Die Schlechte: Es stimmt.
Die Gute: Jeder Mensch ist ein wenig gestört.
Dass bei jeder einzelnen Frage, jeder zustimmend die Hand hob, ist nahe liegend.
Außerdem sollte man mit seinem Sitznachbar folgende Fragen besprechen:
- Wofür schämst du dich?
- Wovor hast du Angst?
- Was bereust du?
- Was würdest du tun, wenn du egoistisch wärst?
Seine Intention dahinter bestand darin, zu zeigen, dass wir Vertrautheit eigentlich gerade erst dann entwickeln, wenn wir die perfekte Fassade ablegen. Erst wenn wir unsere Verletzlichkeit zeigen, schaffen wir auch für andere Sicherheit sich zu öffnen.
So entsteht menschliche Verbundenheit und Intimität. Niemand verliebt sich in perfekte Menschen oder fühlt sich in ihrer Gegenwart wohl. Eher im Gegenteil. Sie wirken unnahbar.
Oft sind es die Ecken und Kanten, die Menschen erst interessant und anziehend machen.
Zum Abschluss gab es noch eine kurze Fragerunde an ihn persönlich.
Dabei wurde er gefragt, was er denn bereut.
Antwort:
Dass er mal eine Beziehung aufrecht erhalten hatte, obwohl er eigentlich gespürt hatte, dass es vorbei war. Er tat dies, weil er Angst vor den Konsequenzen hatte und seinen Partner nicht verletzen wollte. Doch später erkannte er, dass er ihn dadurch erst recht verletzt hatte, weil er Gefühle vorgetäuscht und demjenigen Lebenszeit genommen hat, in der er sich hätte neu orientieren können.