Annas kleine Läuferinnenphilosophie #2: Progress-Reframing

Wie ihr mitbekommen habt, ist Pornomuddi fleißig am Laufen, obwohl sie doch die letzten Jahre immer wieder wegen Schmerzen aufhören musste und nicht richtig trainieren konnte.

Vor etwas über 5 Jahren hat mich ein Bandscheibenvorfall von einem auf den anderen Tag aus dem Sport katapultiert, den ich doch so geliebt hatte. Von 120km/Woche auf 0. Die folgenden 2 Jahre konnte ich ohne Tonnen an Schmerzmitteln nicht mal mehr gehen, was daran lag, dass unzählige Ärzte den Bandscheibenvorfall nicht entdeckt hatten, aber auch kein Interesse daran hatten, was natürlich super war, weil ich durch das lange Gehumpel quasi schief geworden bin.

Jedenfalls dachte ich, dass ich nie wieder laufen könne. Meine erster Laufversuch nach ca. 2 Jahren waren ca. 50m, die das Gefühl nur bestätigt hatten, weil die Schmerzen sofort massiv getriggert wurden. So lief das dann auch über die nächsten Jahre. Jeder Laufversuch, löste Schmerzen aus. Die schmerzvermeidende Haltung und das Ansteuerungsproblem meines rechten Beins führten dann dazu, dass ich mehrfach umgeknickt bin und dann noch ein paar Bänderrisse dazu kamen. Gefühlt, war mein rechtes Bein quasi außer Kontrolle.

Die letzten 2 Jahre musste ich jeden Wiedereinstieg nach 2-3 Wochen abbrechen, weil alles verrückt spielte und schmerzte. Mehr 10km waren nie drin, letztes Jahr, Dank des dummen Baddibildings und der unnötigen Optik-Muskelmasse, die mich träge gemacht hatte, höchtstens 4km und das selbst oft nur mit Schmerzmitteln, Voltaren und stundenlangem Foamrolling, um die verspannte Muskulatur wieder auf einen normalen Tonus zu bringen.

Aus der Perspektive betrachtet, könnte man also sagen, ich war kaputt und das Laufen war vorbei.

Was ich die letzten Jahre, durch meine körperliche Veränderung und v.a. den Ausflug in den Fitnesslaifstail, gelernt hatte, war, dass das nicht stimmte.

Ich war nicht kaputt, sondern das Vertrauen zu meinem Körper war kaputt.

Ich begriff, dass es nichts zu kontrollieren und optimieren galt und dass mein Körper nicht kaputt oder falsch war, sondern, im Gegenteil, wunderbar funktionierte und mir stets die richtigen Signale schickte, ich sie aber ignoriert hatte, weil ich mit dem Kopf durch die Wand wollte.

Durch die Verletzung hatte ich das Vertrauen in meinen körperlichen Instinkt verloren. Ich dachte, ich könnte mit all dem Wissen, Studien und Büchern meinen Körper heilen und optimieren. Doch interessanterweise trat das Gegenteil ein.

Mein Körper war für mich immer etwas, das einfach so zu funktionieren hatte, wie mein Kopf es wollte. Da ich bis zum Bandscheibenvorfall nie verletzt war, habe ich alles, was er geleistet und intuitiv richtig gemacht hatte, auch nie zu schätzen gewusst.

Die Beschäftigung mit der „Science“ hinter Training und Ernährung begann für mich erst mit dem Bandscheibenvorfall und war einfach nur ein verzweifelter Versuch, mich selbst zu heilen um zu kapieren, was ich falsch gemacht hatte. Dass dies einmal zu meiner Arbeit werden würde, hätte ich nie gedacht. Doch die Besessenheit und Verzweiflung, mit der ich mir all das Wissen angeeignet habe, das ich heute weitergebe, zeigt wohl, wie groß der Schmerz und die Liebe zum Laufen war, denn der Verlust war wie ein Trauma für mich und die Sehnsucht zurück zu kommen, blieb stets präsent.

Doch all das Wissen hat nicht dazu geführt, dass ich nun wieder auf meinem Berg laufen kann. Ich habe nun innerhalb der letzten 4 Tage schmerzfrei über 60km zurückgelegt, obwohl ich über ein Jahr kein bisschen Ausdauertraining gemacht habe.

Wie kann das sein?

Vor über einem Jahr betrachtete ich, das, was die letzten Jahre passiert war, einmal mit nüchternem Abstand.

Wann ging es mir gut?
Wann fühlte ich mich am wohlsten in meinem Körper?
Wann war mein Körper am leistungsfähigsten?
Wann war ich körperlich und geistig am gesündesten?

Der kleinste gemeinsame Nenner war:
Dann, als ich meinem Instinkt vertraut hatte.
Dann, als ich all das Wissen noch nicht hatte.
Dann, als ich meinen Körper nicht kopfgesteuert optimieren und kontrollieren wollte.

Und vor allem:
Dann als ich NICHT DEM FITNESSSCHÖNHEITSIDEAL entsprach.

Kurzgesagt, vor meiner Verletzung, vor meiner Angst und Fixierung vor und auf die Schmerzen und vor allem, vor dem Fitnesslaifstail und vor dem Fitnessbarbiekörper.

Also beschloss ich, die Laufversuche zunächst sein zu lassen. Mein ganzes Fitnessleben auszumisten. Back to Basics zukehren. Das zu tun, was ich Dank meiner bulgarischen Omaprägung und 20 Jahren Leistungssport zuvor richtig gemacht hatte und erst dazu geführt hatte, dass ich so glücklich in dem Sport werden konnte.

Ich wusste, dass all das nicht verloren war und dass ich meinem Körper so wahnsinnig dankbar sein konnte, dass er trotz allem so tapfer und gut funktionierte und dass mit ihm nichts falsch war.
Sondern, dass ich durch alles, was passiert war, ihm undankbarerweise einfach nicht mehr vertraut hatte.

Ich beschloss mich, wie die Schildkröte aus „Das Café am Rande der Welt“ einfach treiben zu lassen. Das zu tun und zu leben, was ich früher instinktiv und selbstverständlich richtig gemacht hatte und darauf zu vertrauen, dass mein Körper mir sagen wird, wann er wieder bereit sein wird.

Und das hat er. Ab dem Zeitpunkt der Selbsterkenntnis, wusste ich, dass ich in meinen Bergen wieder laufen kann. Ich wusste, dass ich wieder laufen werde, wenn

  • es mir gut geht,
  • ich genau auf meinen Instinkt & meine Bedürfnisse höre
  • und auf alles, was durch meine physische und soziale Umwelt auf mich einwirkt.

Vor ein paar Jahren noch, hatte ich dieses Selbstvertrauen nicht. Und dies ist der springende Punkt. Selbstvertrauen ist Kopfsache. Es ist eine Entscheidung, Erkenntnis und Einstellung sich selbst und seinen Gefühlen einfach zu vertrauen. Eine gewisse Vorstellung von Selbstvertrauen hat wohl jeder, doch nur wenige können es wirklich fühlen. Auch ich bin erst die letzten Monate an den den Punkt gekommen, wo ich wirklich fühlen und verstehen kann, was das eigentlich ist.

Es ist eine Art Urvertrauen, ein Gefühl der Sicherheit auch unter Unsicherheit. Als würde man sicher und unbeirrt selbst bei tiefster Finsternis seinen Weg gehen und einfach wissen, dass man ankommt. Als würde die Sicherheit an sein Ziel zu gelangen, nicht von den äußeren Bedingungen abhängen, sondern ganz allein von einem selbst und als würde diese Eigenverantwortung zu absoluter innerer Ruhe und Gewissheit, dass alles gut so ist, wie es ist, statt Angst und Unsicherheit führen.

Wenn ich darüber nachdenke, ist es vielleicht das, was den Fitnessmenschen, Menschen, die gegen ihren Körper kämpfen und Menschen, die eine innere Unruhe und Unzufriedenheit in sich tragen, fehlt. Sie haben sich von ihren Gefühlen entfremdet oder können oder wollen nicht auf sie hören, weil sie glauben, Kontrolle sei die Lösung für alles. Sie sind vollkommen von den äußeren Bedingungen ihres Weges abhängig.

Kontrolle ist aber eine Illusion. Denn wir Menschen können unmöglich alle internen und externen Faktoren, die auf uns einwirken kontrollieren. Je mehr wir es versuchen, desto frustrierter werden wir, weil der Aufwand und die Entfremdung steigt. Am Ende kontrolliert der Kontrollzwang uns.

An meiner Laufstrecke befindet sich ein alter Pfeiler. Bis zu diesem Pfeiler bin ich bei meinen ersten Bergläufen immer gelaufen. Dies war in dem Jahr, als ich mich das erste Mal an den Berg wagte, mein Ziel, das ich stolz erreichte.

Dieses Jahr markiert der Pfeiler gerade mal die Hälfte meiner Strecke. Ich laufe an ihm vorbei und bekomme so jedesmal vor Augen gehalten, dass ich nichts verloren habe, dass mein Körper nicht kaputt ist, dass ich selbst nach allem, was passiert ist, sogar weiter und höher laufen kann, als in meinen ersten Jahren.

Auch wenn ich keine austrainierte Läuferin mehr bin, habe ich erkannt, dass Entwicklung und Fortschritt eine Frage der Perspektive ist und dass es nicht immer das ist, was zunächst offensichtlich zu sein scheint.

Ich kann mich auf all das Drama der letzen Jahre fokussieren, auf alles, was ich NICHT KONNTE oder auf alles, was ich JETZT KANN. Ersteres wird zu Unsicherheit und Misstrauen führen. Letzteres zu Sicherheit und Selbstvertrauen.

Ich bin nun anders, habe vielleicht einen unangenehmen Umweg nehmen müssen, aber dieser war wohl notwendig und ein trotziges Signal meines Körpers, sich endlich den Respekt zu verschaffen, den er verdient hat.

Mein Körper hat 12 Jahre Ballett, 20 Jahre Laufen, ein paar Jahre Krafttraining hinter sich. Muskelab- und aufbau, Gewichtsschwankungen, Stress, hormonelle Probleme und unzählige Ernährungsexperimente gemäß des fancy Fitnesslaifstails hinter sich und dennoch trägt er mich nach all den Jahren tapfer auf meinen Berg.

Ich weiß wie es ist, eine Ballerina, eine Marathonläuferin und eine Fitnessbarbie zu sein und nach all den Jahren kann ich sagen, dass ich physisch und psychisch am ungesündesten wahr, als ich so aussah, als sei ich am gesündesten.
Dann als ich dem Fitnessschönheitsideal entsprach.
Dann als ich am weitesten von dem entfernt war, was meiner Natur entspricht.

Mein Körper hat mich von 100 auf 0 dann aus der Bahn geworfen als ich ihn ignoriert hatte und bringt mich nun von 0 auf 100 wieder in die Spur, seit ich ihm absolut vertraue.

Jeden Tag an dem ich an meinen Pfeiler, der die Anfänge meiner Bergläufe markiert, vorbei laufe, sage ich meinem Körper „Danke“.

„Danke“ dass du mich Selbstvertrauen gelehrt hast.
„Danke“, dass du mich nicht aufgegeben hast.
„Danke“, dass du alles richtig machst.