BOOKREVIEW: Women Who Run with the Wolves: Myths and Stories of the Wild Woman Archetype von Clarissa Pinkola Estés

Ich habe dieses Buch gelesen, weil ich gelesen habe, dass jede Frau es lesen sollte. Dem schließe ich mich an.

Ich denke allerdings, dass dieses Buch für die Phase im Leben einer Frau ist, an der sie spürt, dass etwas nicht stimmt. In der ihr bewusst wird, dass sie an einem Punkt steht, wo sie sich entscheiden muss, die Frau zu sein, die man von ihr erwartet zu sein oder einer inneren Stimme zu folgen, die im Laufe der Zeit immer lauter geworden ist.

Einer inneren Stimme, von der sie immer dachte, dass sie sie unterdrücken müsse, weil sie irrational und falsch ist. Diese innere Stimme entspricht dem einzigartigen weiblichen Instinkt, diese besondere Gabe, einer Wahrnehmung, die man oft nicht erklären kann, oft belächelt wird, aber von der das Umfeld in einer Gesellschaft wie dieser eigentlich mehr profitiert als die Frau selbst. Denn eine Frau lernt früh, was sie tun muss, um Erwartungen zu erfüllen, sich zurückzunehmen, nicht anzuecken und die Bedürfnisse anderer über ihre eigenen zu stellen.

Dank des gegenwärtigen Frauenbildes wird angenommen, dass dies auch der Natur der Frau entspricht. Von einer Frau wird erwartet, dass sie sanft, zurückhaltend, gehorsam und schutzbedürftig ist. Doch das ist sie vor allem in ihrer Jugend, weil es von ihr erwartet wird. In dieser Phase ist ihre Persönlichkeit noch nicht gefestigt genug, die Prinzessinnen Attitüde abzulegen und wie Estés es beschreibt, in die Wälder zu gehen, um von den Wölfen zu lernen.

Doch irgendwann kommt sie an dem Punkt, an dem sie merkt, dass sie einen hohen Preis dafür zahlt, weil neben ihrer Sanftmut auch das Wilde, wie es Estés nennt, steckt, dass sie unterdrückt, weil sie noch nicht gelernt hat, darauf zu vertrauen. Das Sanfte und das Wilde sind beides Seiten der Weiblichkeit, die eine Frau leben muss, um mit sich im Reinen zu sein.

Und in der Tat, viele Symptome, die wir heute bei Frauen sehen, sind Folge der Unterdrückung ihrer wahren Bedürfnisse. Diese Symptome äußern sich wie eine Art unbändiger Hunger. Eine Frau kann sich noch so sehr disziplinieren ihrer Rolle gerecht zu werden, doch der Hunger ist immer da. 

Doch weil sie den wahren Hunger, dem Hunger nach innerer Zufriedenheit, nicht befriedigt, sucht sie Wege diesen zu kompensieren. Mehr Leistung, mehr Schönheit, mehr Anerkennung. Egal was. Immer mehr und immer mehr. Doch dieser kompensatorische Hunger wird nie gestillt.

Das macht sie solang, bis sie keine Energie für „Mehr und immer mehr“ hat. Bis ihre Psyche und ihr Körper deutliche Signale senden, die sie nicht mehr ignorieren kann. Dann erst lernt sie zaghaft, ihrer inneren Stimme zuzuhören, zu vertrauen und schließlich zu folgen.

Dieses Buch ist für all jene Frauen, die an dem Punkt sind, an dem sie sich mit dieser inneren Stimme auseinandersetzen müssen. Die sich fragen, ob das alles nur Einbildung oder ein Wegweiser ist. Die sich, ihr Leben und ihre Beziehungen in Frage stellen. Die sich fragen, ob die Welt, in der sie leben, ihr nur beigebracht hat, dass sie das Problem ist oder ob es nicht vielmehr die Welt, das Problem ist.

Estés erzählt über diesen Erkenntnisprozess in einer wundervollen Bildsprache, indem sie Fabeln, Erzählungen und Märchen, in denen die Frau, das arme Mädchen oder die Prinzessin nicht ohne Grund stets eine zentrale Rolle einnimmt.

Sie selbst hat in Ethnologie und klinischer Psychologie promoviert, ist Psychoanalytikerin und hat viel in Zusammenhang mit PSTD gearbeitet. Trotz des akademischen Hintergrundes, ist die Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte und ihres ethnischen und familiären Hintergrunds viel prägender für dieses Buch.

Auch sie plädiert dafür, dass wir den alten, weisen Frauen, die ihrem weiblichen Instinkt gefolgt sind, wieder mehr zuhören sollten. Wer meine Omastories liebt und sich mit meiner Message identifizieren kann, wird das Buch lieben.

„If you don’t go out in the woods, nothing will ever happen and your life will never begin.“