Chill mal dein Leben

Cortisol und ich sind sowas wie beste Freunde. Was Stress alles anrichten kann, habe ich bitter lernen müssen.

Ich bin einer der Menschen, die in jeder Lebenslage 1000 % geben wollen und in deren Kopf so viele To-do-Listen herumschwirren, dass von vornherein klar ist, dass diese nie zu bewältigen sind, ich aber dennoch dickköpfig genug bin, die Hoffnung nicht aufzugeben, dass ich sie dennoch bewältigen kann, wenn ich denn nur will.  

Das gilt auch für meine Beziehung zum Sport. Egal in welcher Sportart ich mich je probiert habe, ich landete immer im Extremen. Erst durch meinen Bandscheibenvorfall und damit meinen Weg zum Krafttraining, habe ich bewusst wahrgenommen, was ich meinem Körper eigentlich abverlange.

Durch meine Vergangenheit als besessene Läuferin war ich es gewohnt, stetig an meiner Schmerzgrenze zu kratzen und mehrere Stunden am Tag zu trainieren. Jedoch gelten im Ausdauersport etwas andere Prinzipien als im Kraftsport. Mit Maximalgewichten kann man eben nicht täglich stundenlang jonglieren und erwarten, dabei stetig besser zu werden. Es brauchte allerdings sehr lange bis ich das kapiert hatte.

Um es irgendwie verständlich zu machen: Nach dem Training nicht halb tot umzukippen, hat mich irritiert. “Ein bisschen was machen” war für mich “nichts”. “Alles geben” war das Mindeste. Jeden Tag einen Marathon zu laufen ist tatsächlich möglich, wenn man lebensmüde genug ist und Spaß an der Quälerei hat. Jeden Tag maximal Gewichte bewegen führt jedoch schnell zum Ausbrennen.

Als Läuferin war ich stets allein unterwegs und auf mich gestellt. Doch nun trainierte ich im Gym mit vielen anderen und konnte sehen, was und wie viel andere machen. Bei den anderen Frauen saß das Make up danach noch genauso wie davor, sie schwitzen nicht und waren noch ansehnlich genug, beim Training Selfies zu machen. Ich dagegen saß nach dem Training völlig zerstört in der Umkleide, stopfte mir meine Kartoffeln in den Mund und überlegte, wie ich schnell nach Hause in mein Bett komme.

Irgendwas war anders bei mir. Ich war es gewohnt, meinen Körper stets kontrollieren und dominieren zu können. Was ich mir in den Kopf gesetzt hatte, musste er aushalten. Meine Jahre als Leistungssportlerin haben dazu geführt, dass ich mir regelrecht eine verzerrte Schmerz- und Erschöpfungswahrnehmung antrainiert hatte. Ich denke auch, dass das sehr typisch für Ausdauersportler ist. Gerade im ambitionierten Bereich besteht die Herausforderung gerade darin, seine mentale Belastbarkeit zu testen. Das sich Quälen wird somit antizipiert.

Der Fehler war, dass ich mich als Läuferin selbst trainiert habe, statt die Verantwortung einem Trainer zu überlassen. Sich selbst zu trainieren ist oft keine gute Idee, wenn man eine sadistische Ader in sich trägt. Trainingseinheiten bis zu 4 h, Intervalltraining in den Bergen, auf Eis, Schnee und Sandbahnen, nüchtern, bei -20°C oder +40°C, ohne ausreichend Schlaf, Essen und Ruhetage waren gerade gegen Ende meiner Läuferzeit “normal”. In Kombination mit meinem Untergewicht, kam ich gerade im Winter immer regelrecht blau zu hause an, denn wenn auf meinem Plan 30km standen, wurden die durchgezogen, selbst wenn die Straßen vereist waren, ich keine Zeit hatte und es so kalt war, dass die Atemluft in meinem Gesicht gefrierte. Ich habe das Problem dann einfach so gelöst, dass ich mir die Zeit vom Schlaf abgezogen habe, spezielle Spikes und Schneeketten angeschnallt habe und total motiviert in Eiseskälte mein Programm durchgezogen habe.

Das war alles nicht klug, sondern dumm. Doch ich wusste es nicht besser, da es nie einen Anlass gab, mich zu hinterfragen. Ich war nie verletzt. Vielmehr zeigte das harte Training Wirkung und ich wurde immer besser.

Mit dem Krafttraining, den Aufbau- und Diätphasen, habe ich das erste Mal bewusst wahrgenommen, welchen Einfluss Stress auf meinen Körper hat. Mit dem Ende meines Lebens als Läuferin, änderte sich mein Leben, das ich bis dahin führte, in allen Bereichen.

Jeden Versuch, meinen Körper wie früher zu kontrollieren, zahlte er mir heim. Zu wenig Schlaf, zu wenig Essen, zu hartes und langes Training endeten mit extremen Wassereinlagerungen, Zyklusstörungen, Entzündungsreaktionen, einem extrem hohen Ruhepuls, Schmerzen und Konzentrationsstörungen.

Die äußerliche Entwicklung meines Körpers verlief hingegen ungewöhnlich gut und schnell, so dass ich auch die Aufmerksamkeit anderer auf mich zog und man mich dazu bringen wollte, ins Bodybuilding zu wechseln und mich auf einen Wettkampf vorzubereiten. In dem Fall musste das Cortisol unbedingt herunter, um die Diät vernünftig durchziehen zu können.

Das Ganze zu einem Zeitpunkt, bei dem mir meine berufliche und private Situation nicht erlaubte, zur Ruhe zu kommen, da die Geburt von ZHENA ein harter, langer Kampf war. Kurz gesagt fühlte sich diese Phase an, als ob ich in einen Abgrund springe, bei dem ich keine Ahnung hatte, ob ich weich landen würde oder dies das Ende wäre.

Die Diäten in diesen Phasen waren zum Verzweifeln. Ich konnte tun was ich wollte, das Gewicht stagnierte hartnäckig. Mit meinem Wissenshintergrund war mir bewusst, dass ich in einem Stressteufelskreis gefangen war und ich mehrere Kilo Wasser in mir hatte.

Refeeds oder Diätpausen änderten auch nichts, was nur logisch war, da hier mehrere Stressfaktoren eine Rolle spielten und ich mental schon von der Tatsache gestresst war, dass ich gestresst war.

Gewissheit darüber, dass mich das Cortisol voll im Griff hatte, bekam ich durch meine kurzen Auszeiten in meiner Zweitheimat Bulgarien. In einem kleinen Idyll, einem Häuschen in den Bergen, in einer Gegend, in der es nicht mal Straßennamen gibt, in der man nachts die Milchstraße sehen kann und morgens von dem Krähen des Hahnes und den Glocken der Ziegen geweckt wird. Dort kam mein Körper zur Ruhe. Dort war ich sicher vor allem, was auf mir lastete, denn dies war auch der Ort, den ich mit der Liebe meiner Oma verband.

Innerhalb von wenigen Tagen verlor ich mehrere Kilogramm Wasser, sah definierter aus und war endlich von meinen chronischen Schmerzen und Schlafstörungen befreit. Jeder Laufversuch in Deutschland endete mit Schmerzen. In Bulgarien jedoch konnte ich nahezu täglich schmerzfrei laufen. Der ganze Ballast fiel einfach von mir ab und innerhalb weniger Tage, war ich der Mensch, der ich in Deutschland oft versuche zu sein, jedoch selten bin.

Ich habe diesen Stress-Teufelskreis auch bei vielen Frauen beobachtet, die bei mir Rat gesucht haben. Doch leider haben sie nicht die Möglichkeit, in ein Berghäuschen zu flüchten, um selbst wahrzunehmen, in welchem Käfig sie gefangen sind.

Zugegebenermaßen hilft es diesen Frauen nicht, das ganze rational und theoretisch zu erklären. Zumal man sich vieler Stressfaktoren oft nicht einfach so entledigen kann. Sie bekommen lediglich eine Ahnung, was bei ihnen los ist, aber es ändert sich nichts. Um wirklich wahrnehmen und verstehen zu können, in welchem düsteren Tunnel man steckt, muss man einmal das Licht und die Freiheit gesehen haben.  

Das ist ungefähr so, als würde man jemanden beschreiben wollen, wie unvergleichlich Omas Apfelkuchen früher als Kind geschmeckt hat. Doch in einem Außenstehenden wird es nie das gleiche warme Gefühl auslösen, da er den Apfelkuchen selbst nie gegessen hat und dieser nicht mit der Liebe seiner eigenen Oma gebacken wurde.

Gerade bei harten Diäten ändert sich so viel neurobiologisch, dass die ganze Psyche in eine Art Tunnelmodus gelangt. Die Chemie im Kopf ändert sich derart, dass die ganze Wahrnehmung verzerrt ist. Das ist besonders bei Essstörungen zu sehen, die teilweise irrationale und zwanghafte Verhaltensweisen hervorrufen. Die Betroffene sind sich dessen durchaus bewusst, können dennoch nicht davon ablassen.


Der größte Frust eines Menschen entsteht, wenn er weiß, was richtig ist, dies aber nicht tut.


Das führt zu einem negativen Selbstbild und nicht selten in einen Teufelskreis, da diese Menschen dazu neigen, den Frust durch Bestätigung von außen zu kompensieren. Sie sind in ihrer Opferrolle gefangen. An dem eigenen Unglück haben dann aus ihrer Sicht Andere die Schuld.

Unser Hormonsystem ist ein hochsensibles Netzwerk, mit dem man nicht achtlos spielen sollte. Dreht man an einer Stelle, wirkt sich das gleich auf das gesamte Getriebe aus.

Wir Menschen sind oft zu übermütig und sehen unsere eigene kognitive Begrenztheit nicht. Wir versuchen etwas zu beherrschen, was man in seiner Komplexität noch gar nicht vollständig verstanden hat. Wir versuchen die Details zu kontrollieren und verlieren damit den Blick auf das große Ganze. Unser Körper besitzt die großartige Fähigkeit, sich an gegebene Umstände anzupassen. Das gilt im positiven als auch negativen Sinne.

Unser Gehirn ist nicht dazu konstruiert, uns glücklich zu machen, sondern vielmehr, uns am Leben zu halten. So können wir sogar extremste Herausforderungen überleben. Wenn wir unseren Körper 24/7 Extremsituationen aussetzen, wird er darauf entsprechend reagieren.

Dieses Muster ist ein Naturgesetz und findet sich in allen Bereichen wieder. Es wird immer so sein, dass du früher oder später für das, was du nimmst, auch geben musst.

Schon Newton hat das in seinem 3. Newtonschen Grundgesetz postuliert: actio=reactio.

Im Buddhismus beschreibt “What goes around, comes around” das Karma. Platon hat es ganz einfach ausgedrückt: “Panta rhei” (“alles fließt”).

Egal wie stur du dich stellst, gegen deine Natur kommst du nicht an.