Digitale Objektifizierung

Schön sein ist wichtig. Besonders wenn man eine Frau ist. Dann ist das das Wichtigste überhaupt. Ob man denken kann, ist weniger wichtig. Im Gegenteil, das könnte zu Problemen führen.

Am besten kommt man als Frau noch durchs Leben, wenn man schön ist und so tut als könnte man nicht denken. Dann hat man alle Vorteile, des Schönseins ohne die Nachteile des Klugseins, ist aber trotzdem hell genug, sich nicht hinters Licht führen zu lassen.

Das hat auf lange Sicht jedoch auch einen Hacken:

Wenn man vorgibt, jemand zu sein, der man nicht ist, holt man Menschen in sein Leben, die eben genau den Menschen gut finden, der man nicht ist. Dann ist man gezwungen der Mensch zu bleiben, der man nicht ist, sofern man diese Menschen dann nicht verlieren will.

So kommt es, dass man sich doch irgendwie einsam und unverstanden fühlt, wenn man sich gezwungen sieht, der Mensch zu bleiben, der man nicht ist, weil man weiß, dass die Menschen, die einen nur lieben,  wenn man der Mensch bleibt, der man nicht ist, aus dem Leben verschwinden, wenn man der Mensch wird, der man wirklich ist.

Komplizierte Sache also.

Was will ich damit sagen:

Wenn man als Frau demnach Menschen in sein Leben holt, die gar nicht wissen, dass man klug ist, die einen nur für die schöne Fassade lieben, bekommt man allmählich das Gefühl, “zu viel” oder “ein Problem” zu sein, weil das, was in einem ist, nicht raus darf und das, was außen ist, das einzige von Wert ist.

Man frisst Probleme und die eigene Unzufriedenheit lieber in sich hinein, passt sich lieber an, ordnet sich unter, um nicht zur Last zu fallen oder Streit auszulösen. Doch der Frust darüber verschwindet nicht einfach, sondern wird vorläufig in den emotionalen Mülleimer im Kopf entsorgt. Doch Mülleimer müssen eben irgendwann auch mal entleert werden, sonst quillen sie über. Dann hat man ein emotionales Müllproblem.

Wenn man gleich signalisiert, wer man wirklich ist und vor allem als Frau auch zeigt, dass man mehr kann, als nur schön sein, kommen entsprechend auch die Menschen ins Leben, die genau das auch gut finden. Meist checken Frauen das aber erst, wenn ihr emotionaler Mülleimer schon ein paar Mal übergequillt ist. Bis dahin steht Schönsein vor allem, bei jungen Frauen, deren emotionaler Mülleimer noch nicht oft genug übergequillt ist, meist an erster Stelle auf der Problemliste. So kommt es, dass wir Millionen an jungen Frauen haben, die auf sozialen Medien, das Schönsein zelebrieren. Da nicht mitzumachen, ist mittlerweile schon ein revolutionärer Akt.

Gut, alles läuft darauf hinaus, dass wir Frauen auf jeden Fall alles tun, um schön zu sein oder zumindest Wege suchen, uns schöner zu machen, als wir sind, weil wir davon ja nie genug haben können. Wobei es treffender ist, zu sagen, dass wir nicht genug davon bekommen können, dass uns andere schön finden und uns das auch auf jede erdenkliche Art und Weise mitteilen. Man möchte ja nur ungern, das kleine hässliche Entlein sein.

Weil man mit dem Gefallen wollen, leicht Geld verdienen kann, gibt es heutzutage auch ein breites Angebot an Möglichkeiten, diese Bedürftigkeit zu befriedigen. Lauter technischer Schnickschnack, der uns spielend leicht macht, digital das zu verschönern, was andere an uns schön finden sollen und das zu verbergen, was andere an uns sehr wahrscheinlich nicht schön finden.

Da gäbe es zum Beispiel geniale Filter und Fotoapps, die aus uns den Menschen zaubern, der wir zumindest rein äußerlich gern sein würden. Was in uns steckt, ist ja nicht so wichtig, weil man das eh nicht fotografieren kann. Somit nehmen wir uns auf digitaler Ebene die Chance, dass uns Menschen sagen können, was an unserem inneren Wesen schön ist.

Foto by Jurica Koletic
Foto by Jurica Koletic

Kurzer gedanklicher Ausflug:

Wenn wir auch noch Filter für unsere Persönlichkeit hätten, die die Arschlochseite an uns einfach wegretuschieren, würde unser Sozialleben sehr anstrengend werden. Man könnte Arschlöcher nicht mehr als Arschlöcher identifizieren, sondern würde sie auf einmal sympathisch finden und sich dann vielleicht auch noch verlieben und das würde ständig passieren, weil ja in einer Welt voller Filter alle gut aussehen und einen guten Charakter hätten. Dann könnte man sich nicht entscheiden und würde unglücklich werden, weil man nicht weiß, wer jetzt zu einem passt und wer auch ohne Filter kein Arschloch ist. Es ist also ganz gut, dass wir noch keine Charakterfilter haben und dass wir Menschen so wunderbar einfach in Schubladen stecken können. Das erleichtert die Auswahl.


Weiter gehts:


Das Ergebnis unseres genormten Ichs posten wir dann wiederum mittels Apps auf sozialen Netzwerken, auf denen wir ganz viele Gleichgesinnte finden, sodass wir uns gegenseitig mitteilen können, ob man schön oder nicht so schön ist.

Die Spielregeln dieses digitalen Gesellschaftsspiels sind also simpel: Man postet Bilder, auf denen man besonders schön aussieht, sodass Menschen einem dann sagen, dass man schön ist. Daraufhin bedankt man sich und sagt denen zurück, dass sie auch ganz schön sind. Dann ist man befreundet und spielt das Ganze immer weiter so.

Fitness_monika: Du siehst so toll aus #bodygoals😍 😘 💕 💞 💓 💗 💖

Fitness_lisa: Danke Maus, du aber auch 😍 😘 💕 💞 💓 💗 💖

Fitness_monika: Wirklich! Du bist mein absolutes Vorbild! 🙈🙈🙈

Fitness_lisa: Awwwww 😘😘😘

Der Insta-Algorithmus hat dieses Verhaltensmuster schon vor ein paar Jahren gecheckt und sich sukzessive angepasst, weil man damit super Business machen kann.

Na ja, so setzen sich die “Dialoge” unter den Fitness-Profilen fort und füttern den Insta-Algorithmus und das eigene Ego. Zweck erfüllt.

Dopaminfeuerwerk

Foto by Alexander Krivitskiy
Foto by Alexander Krivitskiy

Was immer doof ist, wenn das Spiel nicht so läuft, wie wir das gern hätten. Wenn wir nicht genug Likes bekommen und wir merken, dass wir im Beautygame nicht ganz vorn mitspielen. Und das passiert zwangsläufig, wenn man die Spielregeln nicht akzeptiert. Wenn alle digital nachhelfen und nach einer 1-2 stündigen Fotosession dann davon auch noch das schönste Bild selektieren, das dann auch noch einmal mit allen möglichen Beautyapps bearbeitet wird, ist wohl klar, dass die Beautymesslatte verdammt hoch liegt und man nur verlieren kann, wenn man die Spielregeln nicht beachtet.

Super ist aber, wenn der Plan aufgeht, wir die Spielregeln perfekt beherrschen und uns ganz viele Menschen sagen, dass sie so sein wollen wie wir #bodygoals.

Das Gehirn checkt dann, dass das mit dem Schönsein super funktioniert, und feuert immer ein kleines Dopaminfeuerwerk im Belohnungszentrum ab, wenn die Strategie mal wieder aufgegangen ist. Bei jedem Like ein Dopamin Kick. Wie bei einem Drogenjunky und seiner Droge.

Und weil wir Menschen generell, nie mit dem Status quo zufrieden sind, brauchen wir dann immer mehr, von dem, was wir schon haben. Also wollen wir noch schöner werden, für noch mehr Bestätigung von außen und noch mehr Dopmaninfeuerwerk im Hirn.

Das ist eben das wesentliche Prinzip des Dopamins: Seine Funktion besteht darin, uns so zu programmieren, dass wir effektive Handlungen stets wiederholen. Effektiv im psychologischen Sinne bedeutet nicht zwingend das, was uns rational gesehen gut tun würde, sondern das, was emotional zu einer schnellen Problemlösung führt.

Wenn das Problem darin besteht, dass man sich doof fühlt, hat unser Gehirn irgendwann mal gelernt, dass sich dieses doofe Gefühl ganz schnell mit Essen, Social Media, Drogen, Alkohol oder Sex betäuben lässt. Hilft alles super dabei, sich mal kurzzeitig ins gedankliche Aus zu schießen, weil man emotional mit der Realität überfordert ist und so die wahren Bedürfnisse und die Ursachen für die innere Leere verdrängen kann.


Wenn man sich einsam, ungeliebt oder unattraktiv fühlt, ist es eben schwierig, das mal eben so im eigenen Leben zu ändern. Schnell ein Bootypic mit Duckface oder ein sonstiges Bild, das den eigenen Körper ins rechte Licht rückt, auf Insta zu posten beschert jedoch im Handumdrehen die Illusion, total beliebt und attraktiv zu sein. Das miese Gefühl lässt sich so ganz einfach und schmerzlos betäuben. Das eigentliche Problem – die Abhängigkeit des eigenen Selbstbilds von äußerer Bestätigung- bleibt bestehen und wird dank des positiven Dopamin-Feedback-Loops sogar verstärkt.

Dass dies, ein Problem ist, erkennt man daran, dass diese Frauen immer fixierter auf ihren Körper werden und sich ihre Gedanken immer mehr um Training und Ernährung drehen, dies ihren Tagesablauf und ihr Wohlbefinden beeinflusst, dass sie permanent Angst vor dem Kontrollverlust über ihren Körper haben, weil es irgendwann das Einzige ist, was ihnen bleibt. Das Einzige, was ihnen noch das befriedigende Dopaminfeuerwerk im Hirn beschert, weil sie nicht an ihrer Zufriedenheit, die unabhängig von ihrem Körper ist, gearbeitet haben.

Foto by Aiony Haust
Foto by Aiony Haust

Wenn wir einen bestimmten Knoten im Kopf haben, dann ist es für unser Gehirn effizienter, diesen Knoten, Knoten sein zu lassen, statt ihn zu entknoten, weil das viel aufwendiger wäre. Deswegen machen wir lieber immer wieder dieselben Fehler, statt umzulernen.

Na ja, und wenn man eh schon unzufrieden mit sich ist oder gelernt hat, seine Unzufriedenheit durch Bestätigung von außen, zu kompensieren, dann wird man im Laufe der Zeit sehr effizient, in allen Verhaltensweisen, die genau das bedienen. Dieser Kompensationsmechanismus funktioniert jedoch nur, solang dieser Feedbackloop positiv bleibt.

Wir fangen dann an, immer mehr der Mensch zu sein und das darzustellen, was gut ankommt und vermeiden alles, was nicht gut ankommt, selbst wenn wir uns damit leugnen. Deswegen sehen wir auf den Sozialen Medien lauter Menschen, die eigentlich nur Rollen spielen.

Foto by Aiony Haust
Foto by Aiony Haust

Früher kannte man das von Schauspielern aus Film und Fernsehen. Doch das war keine gute Werbeplattform. Irgendwann hat man entdeckt, dass die suggerierte persönliche Nähe zu den Menschen auf den Social Media Kanälen, ein besonders effektiver Werbekanal ist. Statt der unüberwindbaren Distanz zu den Schönheiten aus Film und Fernsehen, bieten Social Media Kanäle eine Möglichkeit 24/7 an dem Leben der Personen teilzuhaben, denen man gern nah sein würde oder die so sind, wie man selbst gern wäre.

Wir können beobachten, was der Mensch macht, den wir heimlich lieben, ohne dass er/sie das mitbekommt, genauso können wir die persönlichen Beauty- und Fitnesstipps all der Fitnessbarbies verfolgen, die dem eigenen Ideal entsprechen.

Du hast gerade Sehnsucht nach Person X?
Du fühlst dich gerade demotiviert und hast das Gefühl immer das kleine hässliche Entlein zu bleiben?
Deine Gedanken drehen sich den ganzen Tag um deinen Körper und Essen?
Dich nervt das hälsi Essen und deine Diät?
Du fühlst dich einsam?

Die schnelle Lösung liegt nur ein paar Klicks auf deinem Smartphone entfernt. Einfach die entsprechenden Apps öffnen und schon kannst du in eine andere Welt abtauchen, in der du scheinbare Lösungen für die oben genannten Probleme findest.

Wir bauen so zu Profilen auf Social Media Kanälen eine Art persönlich, emotionale Bindung auf, die ein besonders effektiver Werbekanal sind. Wenn Fitnessbarbie wie eine Freundin für dich ist, weil du so viel über sie weißt und du sie so oft du willst, in dein Leben holen kannst, wirst du Vertrauen zu ihr aufbauen und gern die Produkte kaufen, die zufällig gerade mit ihr auf dem Bild erscheinen, weil man einer Freundin doch fast immer vertraut.

Diese Nachahmung führt allmählich dazu, dass die genormte, digitale Schönheit auf den Social Media Kanälen zum neuen Schönheitsideal wird, das eigentlich unerreichbar ist, da es nicht real ist. Obwohl sich diese Idiotie jede Frau eigentlich selbst vor Augen halten kann und rational sicher weiß, fällt es doch allen Frauen schwer, emotional dagegen anzukommen, sich NICHT mies zu fühlen, wenn man diesem Ideal nicht entspricht. Warum?

Foto by Thư Anh
Foto by Thư Anh

Weil die Social Media Welt längst unser Alltag ist, weil fast jeder alle paar Stunden in diese Welt eintaucht, die Bilder konsumiert und diese in unserem Unterbewusstsein arbeiten.

Unser Unterbewusstsein, weiß nicht, was Social Media ist. Es weiß nicht, was real ist und was surreal ist. Dein Gehirn verarbeitet das, was das Auge sieht, egal ob es wirklich existiert oder nicht. Es verarbeitet lediglich visuelle Reize und verbindet sie mit Assoziationen, wie schön oder hässlich, gut oder schlecht. Dein Unterbewusstsein ist eine binäre Maschine, die Einstellungen zu Sinneswahrnehumgen im gesellschaftlichen Kontext lernen kann.

Hä?

Was ich sagen will: Was deine Augen sehen, aktiviert Gefühle, denn diese visuellen Reize werden in deinem Unterbewusstsein zu für dich sinnvollen Geschichten gesponnen, die im Kontext deiner Erfahrungen und Glaubenssätze, konstruiert werden.

Somit wird eine künstliche Welt, die nichts anderes als eine kommerzielle Werbeplattform ist, zu unserer emotionalen Realität.

Und weil wir uns 24/7 gut fühlen wollen und erwarten, dass das Leben immer toll sein muss und wir immer beliebt sein müssen, machen wir ständig Sachen, die uns gut fühlen lassen. Das bedeutet z.B. dass wir alle dem gleichen Schönheitsideal hinterher rennen, in der Hoffnung, dass wenn wir diesem entsprechen unser Leben ganz toll sein wird.

Individualität hat so kaum noch eine Chance. Konformität, die die Social Media Algorithmen bedient ist dagegen der effektivste Weg kurzfristig Erfolg zu haben.

Warum finden wir Konformität gut, selbst wenn sie objektiv gesehen, Quatsch ist?

Wie immer, ist der Urschleim Schuld- die Evolution, Natur oder wie man das auch immer nennen mag.

Sich an soziale Normen anzupassen, war überlebenswichtig. Wenn man der sture Individualist war, wurde man nämlich einfach aus der Höhle geschmissen, hat nichts vom erlegten Mammut abbekommen und die ugga ugga Männchen in der Höhle hätten sich nicht mit einem fortpflanzen wollen. Das wäre verdammt dumm gewesen, sofern man wollte, dass die eigene DNA nicht ausstirbt. Gruppenzwang war also sinnvoll.


Tribale Fitness

Na ja und deswegen, sind wir alle lieber auch heute noch Höhlenmenschen und verbünden uns in Tribes mit Gleichgesinnten, schützen uns gegenseitig und kämpfen gegen andere Tribes, die andere Normen als unsere haben. Solche Tribes entwickeln dann ihre eigenen Normen und Regeln. Wer gegen die Regeln verstößt, ist raus. Sieht man in der Fitnessszene sehr gut, wo jeder der Bessere ist und alle anderen doof findet.

Tribes sind also so eine Art Gruppe von Höhlenmenschen, die eigene Regeln des sozialen Miteinanders entwickeln, die gleichen Sachen gut oder schlecht finden und sich mehr oder weniger unbewusst gegenseitig darin bestärken, um als soziale Gemeinschaft, die Überlebenschancen des Einzelnen zu erhöhen.

In der Fitnessszene hat sich die Reviermarkierung eines jeden Tribes mit #team… durchgesetzt.

Ich bin dann quasi #teamkartoffel und Fitnessbarbie #teamfitnessbarbie. Somit können wir keine Freunde werden, weil wir unterschiedlichen Tribes und Dogmen anhängen, die unsere Knoten im Kopf jeweils bestätigen, unabhängig davon, ob die gerechtfertigt sind. Unsere Knoten passen jedenfalls zu all den anderen, die sich in den gleichen Tribes versammeln. Wer so verknotet ist, wie ich, wird demzufolge #teamkartoffel und wer so verknotet ist wie Fitnessbarbie #teamfitnessbarbie.

Foto by Hadis Safari
Foto by Hadis Safari

Binäres Denken funktioniert immer super. Wer glaubt davon frei zu sein, weiß nichts über sich, denn allein die Annahme dessen, bestätigt die eigene Wahrnehmungsverzerrung, denn auch diese basiert auf binärem Denken. Binäres Denken ist die grundlegende Funktionsweise des Unterbewusstseins und dies ist mächtiger als das Bewusstsein. Erst diese Funktionsweise hat das Überleben der Menschheit gesichert. Das Problem besteht nur darin, dass unser Gehirn noch in der Steinzeit lebt und in seiner Anpassung noch nicht so weit ist, dass es weiß, dass wir tribales Denken, nicht mehr zwingend brauchen.

Weitere Tribes der Fitnessszene:
#teamscience und #teambroscience. Das sind dann auch Tribes mit ihren eigenen Dogmen. Oder #teamvegan, #teampaleo, #teamcleaneating, #teamiifym usw.

Kleine Tribes lassen sich dann zu größeren Zusammenfassen. Alle Fitnesstribes sind dann #teamfitness und stehen den Tribes anderer Sportarten entgegen.

Die lassen sich dann wiederrum zu Tribes #teamsport versus #teamantisport zusammen fassen usw..

So läuft das eben unter Menschen ab. Sie müssen wissen, in welcher Höhle sie sicher sind und passen sich dann unbewusst den Höhlenregeln an. So entstehen Gefühle wie Sympathie, Vertrautheit und Sicherheit im sozialen Miteinander.

Zum Schutz des eigenen Tribes wird alles was die Höhlenregeln infrage stellt, bekämpft, doof gefunden oder zumindest ignoriert, weil das eine Bedrohung des eigenen Tribes wäre und sich fremd und irgendwie nicht richtig anfühlt.

Höhlenregeln von Tribes können auch sowas wie Schönheitsideale sein. Der Tribe beschließt etwas schön zu finden und alle versuchen dieser Norm dann zu entsprechen.

Foto by naeim jafari
Foto by naeim jafari

In der Fitnessszene gebe es da zum Beispiel #teambooty vs. #teambesenstil. Ein Teil der Frauen hängt dem Schönheitsideal prall und peachy an. Ein anderer Teil dem Schönheitsideal, bei dem alles so klein und dünn wie möglich sein muss. Dann hätten wir noch #teamcrossfit #teampowerlifting #teambaddibilding und so weiter… für jeden etwas dabei und jeder Tribe idealisiert sein eigenes Schönheitsideal.



Kommen wir wieder zur Evolution:

Wenn man als Frau bei dem Schönheitsideal des eigenen Tribes nicht mitgespielt hat, sank eben die Wahrscheinlichkeit, dass sich Männchen mit einem paaren wollten. Im schlimmsten Fall wurde man auch aus der Höhle geschmissen, weil man unangenehm aufgefallen ist und mit seiner sturköpfigen Individualität den genetischen Code und den Höhlenfrieden gefährdet hätte. Also musste man sich den Schönheitsidealen fügen, um seine Solidarität dem eigenen Tribe zu signalisieren. Deswegen ist es uns auch heute noch wichtig, dem Schönheitsideal des eigenen Tribes zu entsprechen.

Heute machen wir das eben sehr bequem auch über soziale Medien, über die wir unsere Tribes vergrößern können und uns so präsentieren können, wie wir gern gesehen werden würden, unabhängig davon, ob dies auch der Realität entspricht.


Der digitale Schönheitsmarkt

Foto by Aiony Haust
Foto by Aiony Haust

Und weil die Sehnsucht, dem Schönheitsideal des eigenen Tribes zu entsprechen, so tief in uns verankert ist, haben clevere Menschen aus diesem Bedürfnis ein Business gemacht, das den gleichen ökonomischen Regeln folgt, wie jeder andere Markt auch.

Das Interessante ist lediglich, dass hier nicht mit materiellen Gütern gehandelt wird, sondern mit immateriellen Informationen, die der Psyche der Marktakteure entspringen. Wenn wir so wollen, haben wir Menschen mit den sozialen Medien einen eigenen kleinen Mikrokosmos geschaffen, der Abbild unserer primitivsten Instinkte ist. Er ist zur Realität vieler Menschen geworden, kann ihr Denken und Handeln beeinflussen, bringt Menschen zusammen oder trennt sie und das durch eine Welt, die eigentlich gar nicht existiert.  

Was wäre, wenn plötzlich jemand den Stecker zieht?
Was wäre, wenn jemand das Internet löscht?

Was und wer bleibt dann in deinem Leben?

Gut, das war jetzt der philosophische Aspekt. Das Ganze lässt sich aber auch nüchtern ökonomisch betrachten:

Instagram & Co ist der digitale Markt, auf dem Schönheit der Ressource, Likes dem Geld und die Reichweite, dem Vermögen entspricht.

Und weil knappe Ressourcen immer nachgefragt werden, kann man die Nachfrage durch das Angebot der Ressource manipulieren.

Hä?

Sagen wir, wie es ist: Wir Frauen sind uns durchaus bewusst, dass wir nicht wie Fitnessbarbie aussehen, selbst wenn wir es versuchen. Fitnessbarbie sieht ja eigentlich auch nicht wie Fitnessbarbie aus, nur in der digitalen Instawelt, nach 46729 Schnappschüssen in Duckface-Hohlkreuzpose und 1-2h Fotobearbeitung. Aber weiß ja keiner.

Wenn man als Frau diesen Aufwand für die digitale Selbstdarstellung betreibt, hat man die eigene Ressource Schönheit digital aufgewertet, sodass der Marktwert steigt. Weil man nun schöner ist, bekommt man mehr Likes, sodass die Reichweite steigt und immer mehr Frauen nachfragen, wie man das gemacht hat.

Dann fängt man an, zufällig Produkte mit auf das Bild zu platzieren und erklärt, dass man dadurch so schön geworden ist, guckt ein bisschen lieb und unschuldig und schon brummt das Business.

Foto by Pass Enger
Foto by Pass Enger

Wenn das mit der Unschuldsnummer nichts wird, kann man auch mit Emoji-Filtern nach helfen, die aus dem Duckface süße Puschelhäschen, Mäuschen oder Kätzchen mit Glubschaugen machen, sodass selbst die berechnenste Geschäftsfrau zum Wolf im Schafspelz mutiert.

Klappt super. Kommt bei Männern und Frauen gut an, selbst wenn offensichtlich ist, dass hier jede Menge kreative Arbeit investiert wurde.

In dem Fall, ist zumindest noch ein Kopf mit so etwas wie einem Gesicht zu sehen, sodass man sichergehen kann, dass mit dem schönen Körper noch ein menschliches Wesen verbunden ist.

Next Level der weiblichen Objektifizierung ist, wenn der schöne Körper kein Gesicht mehr hat. Dann sieht man nur noch Brüste, Booties und Beine. Dies ist das Stadium, ab dem an, der Körper die einzige Ressource ist, die man zu bieten hat, die für das Dopaminfeuerwerk im Kopf sorgen kann. Deswegen muss ab diesem Zeitpunkt alles in den Körper investiert werden, damit die Nachfrage weiter steigt und das Dopaminfeuerwerk ordentlich knallt. Je schöner man wird, desto mehr Likes und desto mehr Reichweite, desto mehr Kooperationen, desto knalliger knallt das Dopamin im Kopf.

Solang dieser Feedbackloop positiv bleibt, ist dies ein Fass ohne Boden. Oder ökonomisch ausgedrückt: Solang der Aufwand für den ganzen Zirkus, nicht den Ertrag übersteigt, steigt der Nutzen und der Gewinn. Klassische Marktwirtschaft.

Inflation

Und weil ein Markt wächst, solange  es eine Nachfrage gibt, steigt auch das Angebot der Ressource Schönheit.

Somit haben wir auf den Sozialen Medien Millionen an Schönheiten, sodass einem als Normalo Frau, die den digitalen Schönheitswettbewerb in ihrer Höhle am Smartphone mitverfolgt, langsam dämmert, dass man so wie man ist, nicht genug ist, weil ja die ganze Welt auf einmal wunderschön ist.

Schönsein ist dank der digitalen Welt schon normal und normal sein, ist unnormal.

Foto by Fernando Paz
Foto by Fernando Paz

Der Wert der Schönheit sinkt aufgrund des digitalen Überangebotes, was idiotisch ist, da sie eigentlich gar nicht real ist. Doch es fühlt sich für die meisten Frauen, sehr real an, denn die Bilder all der schönen Fitnessbarbies haben sich in ihren Köpfen eingenistet und bestimmen ihr Denken, Fühlen und Handeln.

Doch Menschen sind nicht rational. Statt den digitalen Markt zu regulieren, indem die Ressource Schönheit wieder verknappt wird und wir uns alle wieder ein bisschen hässlicher machen, wird noch mehr Schönheit, Plastik Brüste, Lip Fillers, Microblading und noch mehr Fotoshop in den Markt gepumpt. Das ist dann so eine Art Inflation der Schönheit. Schönsein wird billig und wertlos, weil sie zumindest digital allgegenwärtig ist.

Da sie aber nicht real allgegenwärtig ist, kommt es in den Köpfen der Frauen zu einer kognitiven Dissonanz. Das ist dann der Effekt von “Bei den anderen geht das doch alles so leicht und ich mache doch genau, was sie macht, aber bei mir funktioniert das nicht.” Der digitale Mikrokosmos ist so real für sie geworden, dass sie die künstliche Welt schon nicht mehr von der realen unterscheiden können.

Ökonomen haben genau das irgendwann auch mal gecheckt. Die ursprünglichen Theorien basierten nämlich auf der Annahme, dass Wirtschaftssubjekte rational handeln. Dadurch kam es früher häufig zu Wirtschaftskrisen, die man nicht vorhersehen konnte. Also hat man gecheckt, dass es sicherer ist, anzunehmen, dass Menschen, eigentlich eher nicht so klug sind und oft dumme Entscheidungen treffen. Dann hat man die Volkswirtschaftlehre der Annahme angepasst, dass Wirtschaftsakteure nicht rational handeln und konnte die Wirtschaftspolitik besser lenken.



Crash

Doch es kommt der Punkt, an dem der Aufwand für den ganzen Schönheitswahn den Ertrag übersteigt, ein immer mehr und immer mehr eben nicht geht, ohne erschöpft zusammenzubrechen. Dann dämmert es diesen Frauen, dass ihre Investition ausschließlich in ihren Körper nicht gerade clever war, denn wenn der eigene Körper nicht mehr kontrollierbar ist, bricht alles weg, was ihnen ein gutes Gefühl gibt.

“Hierzulande musst du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst.“


Die rote Königin aus „Alice im Wunderland



Sie kapieren, dass sie es nicht mehr aushalten, die perfekte Fassade 24/7 aufrecht zuerhalten, und dass die Angst, vor diesem Kontrollverlust über den eigenen Körper sie immer mehr einnimmt und ihr ganzes Denken dominiert.

Foto by Grace Madeline
Foto by Grace Madeline

Sie haben Angst, zuzunehmen, Angst nicht trainieren zu können, Angst ihr Essen nicht kontrollieren zu können, Angst ihr selbst gebautes Gefängnis zu verlieren, Angst schwanger zu werden, Angst faltig zu werden, denn ihr Körper war ihr gesamtes Kapital, das Einzige, was wirklich sicher war, das Einzige, was ihnen Bestätigung eingebracht hat.

Der Verlust dieses Kapitals gleicht dem Entzug eines Drogenabhängigen, der plötzlich ohne Droge leben muss. Die Einsicht kommt aber erst mit dem Zusammenbruch, dann wenn das Leid, immer schön sein zu müssen zu groß wird. Und dieser Punkt kommt bei ALLEN, denn Schönheit (vor allem bei einer so hoch liegenden Messlatte, wie sie uns die digitale Social Media Welt vorgibt) ist vergänglich und etwas kontrollieren zu können, ist in einer komplexen Welt eine Illusion.

Das ist dann eine Art Wirtschaftkrise.

Langfristige Investition

Abgesehen, von der bearbeiteten, reinen Darstellung einzelner Körperteile, für die Filter und Fotobearbeitung irgendwann nicht mehr ausreichen, um noch mehr Likes zu generieren, wird nun mit schwereren Geschütz aufgefahren. Brust OP ist der Standardeingriff. Wenn die erfolgt ist, sieht man ständig Dekolltés und Hohlkreuz posen, die alles besonders schön zur Geltung bringen sollen.

Komischerweise braucht man kein großes psychologisches Verständnis um das zu beobachten oder auch nur zu erkennen, wie gekünstelt die Bilder sind. Wir wissen alle, wie das funktioniert und dennoch beeinflusst es unser Denken. Wir vergleichen uns und fühlen uns minderwertig, während wir doch im Alltag alles normale Menschen vor uns haben, die uns zeigen, dass die Social Media Welt nicht real ist. Sie mag nicht real sein, aber sie ist mächtig, denn sie bedient die “immer mehr und immer mehr”-Funktion in unserem Gehirn.

Das ist wie mit Schokolade: Wenn man mal lange nichts Süßes gegessen hat, kommt einem ein Stückchen Schokolade extrem süß vor. Isst man dann immer wieder ein Stück, gewöhnt man sich daran und kann immer mehr essen. Bis der Punkt of no return kommt, wo man weiß, man könnte locker eine Wagenladung Schokolade essen.

Das ist eben das tricky Ding am Dopamin. Es ist kein Glückshormon, sondern ein Lernhormon und führt dazu, dass sich effektive Prozesse in unser Gehirn einbrennen.

Wenn man seinen Körper und das Schönsein nun freiwillig selbst objektifiziert, um sich an der Bestätigung von außen zu befriedigen, wird das schnell zu einem Fass ohne Boden.

Ich habe im Laufe der Zeit ein Muster entdeckt: Je stärker die Objektifizierung des eigenen Körpers, desto kritischer gehen diese Frauen mit ihrem Körper um. Oft sind besonders attraktive Frauen daher besonders unsicher und selbstkritisch. Genau die Frauen, von denen man es am wenigsten erwarten würde.

Wenn man beobachtet, dass sich eine Frau besonders Mühe bei der Selbstinszenierung gibt, kann man oft davon ausgehen, dass diese Frau oft mit einer verzerrten Selbstwahrnehmung kämpft.

Sie sind nicht in der Lage, zu sehen, wie sie wirklich aussehen. Das, was sie im Spiegel sehen, ist nicht das, was real ist. Sie selbst sehen einen furchtbaren Körper und die restliche Welt eine wunderschöne Frau.

Foto by Daniil Lobachev
Foto by Daniil Lobachev

Eigentlich müssten gerade diese Frauen, mehr die Seite von sich zeigen, die nicht perfekt ist. Sie müssten zeigen, wer sie wirklich sind, statt was sie nicht sind. Das würde nicht nur ihnen selbst den Druck nehmen, sondern auch all jenen Frauen, die diese perfekte Inszenierung für real halten.

Dann würden immer mehr Frauen sich trauen, so zu sein, wie sie wirklich sind und aufhören zu versuchen, das zu sein, was sie nicht sind.

Das ist übrigens ein Grundprinzip jeder oberflächlichen Darstellung: Sie zeigt eher das, was wir sein wollen und nicht wirklich das, was wir sind. Es ist so verdammt leicht, in den sozialen Medien ein Doppelleben zu führen.

Foto by Fernando Paz
Foto by Fernando Paz

Nur die Loslösung von der eigenen Objektifizierunug schafft Erlösung von dem eigenen negativen, verzerrten Selbstbild. Nicht noch mehr Selfies, nicht noch mehr Bestätigung, nicht noch mehr Diäten oder noch mehr Training, nicht noch mehr gefallen wollen.

Stattdessen eine Loslösung von allem, was man glaubt zu BRAUCHEN, denn das, was du von außen brauchst, um dich gut zu fühlen, wird dich eines Tages kontrollieren.


Das, was übrig bleibt, wenn alles, was du brauchst verschwindet, ist die selbst geschaffene Leere. Das Loch, das bleibt, wenn der Körper nicht existieren würde. Das wäre bei vielen ein schwarzes Loch.

  • Was bleibt, wenn du dich eines Tages so sehr verletzt, dass du nie wieder trainieren könntest?
  • Was bleibt, wenn plötzlich ein Krieg ausbricht und du deinen Fitnesslifestyle nicht mehr leben kannst?
  • Was bleibt von dir, wenn du eines Tages nicht mehr existierst?
  • Welche Erinnerung werden die zurückgebliebenen Menschen von dir haben?

Wenn du ehrlich zu dir bist, haben die Antworten auf diese Fragen, nichts mit deinem Körper zu tun. Diese Antworten sind der Ausweg aus dem selbst gebauten Teufelskreis, deiner eigenen Bedürftigkeit hin zu beständiger Zufriedenheit.

Foto by Ross Findon
Foto by Ross Findon