face your fears

Hinweis: Dies ist lediglich eine persönliche Anekdote und keine Aufforderung zum Nachmachen oder eine Anleitung, wie man mit Verletzungen und Schmerzen umzugehen hat!

Frauen sind besonders gut darin, Angst zu haben. Vielmehr noch, scheint Angst so etwas wie ein typisch weibliches Attribut zu sein, denn wer Angst hat, möchte beschützt werden, sich verstecken oder um Hilfe schreien. Das machen Frauen instinktiv, bevor sie überhaupt auf die Idee kommen, der Angst den Krieg zu erklären.

Im Grunde ist das kurzfristig auch eine nette Strategie. Nur auf lange Sicht nicht sehr hilfreich, denn dann stauen sich all die Ängste an, vor denen man immer weggelaufen ist und verstopfen den Ängste-Parkplatz im Kopf. Weil Angst evolutionsbedingt eine überlebensnotwendige Sache war, hat sich die Natur dafür entschieden, dass Ängste nicht von allein aussterben, sondern so lange überleben, bis man sie eigenhändig umbringt.

Das ist so wie mit den Haaren im Abfluss in der Dusche beim Haarewaschen. Selbst wenn da nur ein paar hängen bleiben, sollte man die besser gleich entfernen. Wenn man das nämlich nicht macht, sammeln sich nach jeder Haarwäsche immer mehr Haare, bis der Abfluss irgendwann verstopft ist. Dann staut sich das Dreckwasser und man schwimmt in der Haarsuppe.  Das ist nicht so schön.

So ist das auch mit dem Kopf. Wenn da eine Angst hängen bleibt, sollte man sich darum kümmern, diese zunächst zu beseitigen, bevor die nächste Angst kommt. Im Leben begegnen einen nämlich ständig Ängste und im Grunde ergibt sich das Leben daraus, dass man Ängste bekämpft und sich dann ein bisschen ausruht und darüber freut, dass man stärker geworden ist, bis die nächste Angst auftaucht. So wächst man.

Wenn man ganz viel gewachsen ist, darf man wieder kleiner werden und sich von den vielen Kämpfen ausruhen. Deswegen schrumpft man wieder ein bisschen, wenn man Oma wird. Als Oma ist man nämlich innerlich so stark und groß, dass man äußerlich nicht mehr groß sein muss. In China gibt es daher den Brauch, dass Omis spezielle bunt bestickte Jacken tragen, die zeigen sollen, dass sie nun wieder Kind sein dürfen.

Mein Krieg gegen die Angst

Angst kenne auch ich gut. Ich bin sogar ein verdammt ängstlicher Mensch und ich mag es eigentlich auch lieber davor wegzurennen oder mit der Angst verstecken zu spielen, als mich ihr zu stellen. Daher nennt man mich auch gern Eichhörnchen.

Mein rationales Ich, weiß aber, dass das um die Wette laufen und Verstecken spielen mit der Angst sinnlos ist, weil die Angst kein fair play kennt. Sie gewinnt einfach immer.

Und ich war immerhin viele Jahre ganz gut im Laufen. Weglaufen war quasi meine Spezialdisziplin und wenn mein Körper mich lassen würde, wäre es auch heute noch sehr wahrscheinlich, dass ich meinem ersten Impuls wegzulaufen, nur schwer widerstehen könnte.

Eines Tages entschied mein Körper, das es reicht. Dies war der Tag, an dem ich lernen musste mich meinen Ängsten zu stellen.

Ich weiß bis heute nicht exakt, was da in meinem Körper schief gelaufen ist, dass ich von einen auf den anderen Tag nicht mehr gehen konnte. Ich habe ein paar Theorien, aber egal wie, der Fall war seltsam. Jedenfalls bin ich mir sicher, dass mehrere Faktoren zusammenkamen, die letztendlich wie das Haarknäuel im Abfluss alles verstopft haben, sodass nichts mehr ging.

Ich konnte nur mit Unmengen an Schmerzmitteln meinen Fuß aufsetzen und brauchte morgens 1-2h bis selbst das irgendwie ging. Über jeden einzelnen Schritt musste ich genau nachdenken und die Belastung genau koordinieren, damit ich auf der Stelle am Fuß auftrat, auf der ich nur einen Stromschlag, statt einem Messerstich spürte. Nur so konnte ich mich langsam fortbewegen. Treppen gingen gar nicht. Die musste ich mich am Geländer hoch und runter hangeln.

So schmerzhaft die Fortbewegung auch war, blieb mir nichts anderes übrig, denn liegen und sitzen waren noch unerträglicher. Nach spätestens 15 Minuten hatte ich das Gefühl komplett die Kontrolle über meine Beine zu verlieren.

Da war ich nun Jahre lang Tausende Kilometer gelaufen und dann kam von einen auf den anderen Tag das. Und “es” blieb für 2 Jahre, denn kein Arzt wollte mir glauben.

Erst nach diesen 2 Jahren und über 20 Ärzten kam jemand auf die Idee, sich mal meinen Rücken anzusehen. Zunächst wurde dann “nur” eine Bandscheibenvorwölbung gefunden, die ich 3 Jahre später noch in einen richtigen Bandscheibenvorfall komplettiert habe. Ich mache ja immer ganz oder gar nicht. Halbe Sachen sind nicht mein Ding.

In der schmerzhaften Zeit war jeder Tag eine Herausforderung, vor der ich Angst hatte. Ich wusste bei keinem Schritt, wie sich der Schmerz verhalten würde, denn mal schoss er mir durch den ganzen Körper, mal blieb er im Unterschenkel.

Psychisch war es ungefähr so, als würde man blind einen Spießrutenlauf absolvieren und mit jedem Schritt vorwärts die Speerstiche erwarten und man weiß nie, wann der Lauf ein Ende nimmt.

Wenn ich auf diese Zeit zurückblicke, fühlt es sich auch heute noch wie ein intensiver Albtraum an, von dem man aufwacht und nicht sicher ist, ob der Traum nicht doch real ist. Meiner war real und ich fühlte mich allein damit.

Foto by Mikito Tateisi
Foto by Mikito Tateisi

In dieser Zeit lernte ich mit jedem Schritt, mich für oder gegen meine Angst zu entscheiden. Mir wurde bewusst, dass ich zwar nicht wusste, was mit meinem Körper los war, dass das Hauptproblem jedoch darin bestand, dass ich psychisch völlig auf den Schmerz fixiert war und dies meine Schmerzwahrnehmung noch intensivierte.

Nachdem meine Beine ein weiteres Mal von einem Physiotherapeuten zu getaped wurden (von Sprunggelenk bis Hüfte war alles außer Kontrolle geraten und die Gelenke machten komische Sachen) und ich nach Hause humpeln wollte, setzte ich mich, von den Schmerzen erschöpft, auf eine Parkbank. Dort blieb ich für 2h sitzen und konnte nicht mehr als weinen. Ich war müde davon, von Arzt zu Arzt zu humpeln, nichts anderes als Schmerzen zu fühlen, nicht gehen, sitzen, schlafen zu können und von einen auf den anderen Tag den Sport zu verlieren, für den ich alles getan hatte, nur um mir dann sagen zu lassen, dass ich mir alles nur einbilde.

Dies war der Moment, indem ich realisierte, dass ich allein mit dem Problem war und dass mir niemand helfen wird, egal wie laut ich um Hilfe schreie. Ab diesem Moment beschloss ich nicht mehr zu schreien und dem Schmerz keine Macht über mich zu geben, denn er wurde umso größer, je mehr ich auf ihn fixiert war oder ihn versuchte zu vermeiden. Ich riss alle Tapes von meinen Beinen, humpelte weiter und zwar bewusst so, dass ich die Messerstiche statt nur die Stromschläge spürte.

Ich begann die Strecken, die ich zuvor gelaufen bin, zu gehen. Ich stand jeden Morgen um 3:00 auf, wartete bis die Schmerztabletten zu wirken begannen und ich mein Bein besser koordinieren konnte. Dann ging ich los und das für mehrere Stunden, solang bis ich das Gefühl hatte, dass die Angst vor dem Schmerz keine Macht mehr über mich hat.

Danach ging es mir besser. Sowohl hinsichtlich der Koordination als auch bezüglich meinem Vertrauen in meinen eigenen Körper und meiner Willenskraft den Schmerz auszuhalten.

Irgendwann wurde ich mutiger und begann den Schmerz noch mehr bewusst zu provozieren. Ich forderte den Schmerz immer ein klein wenig mehr heraus und damit mein Selbstvertrauen, dass der Schmerz keine Macht über mich hat.

Ich tat dies, weil ich mich darauf einstellen musste, mit dem Schmerz zu leben. Da ich keine Hilfe fand, sah ich die einzige Lösung darin, meine Widerstandsfähigkeit und meine Sensibilität für den Schmerz anzupassen. Vereinfacht gesagt, wollte ich den Schmerz zur Gewohnheit machen.

Das war in der Situation, die für mich beste Strategie, die mir geholfen hat, diese Zeit zu überstehen. Im Nachhinein wurde zwar auch das wieder ein Problem, weil der Schmerz für mich die Warnfunktion verloren hatte. Aber das ist eine andere Geschichte.

Außerdem fand ich noch Hilfe bei zwei außergewöhnliche Physiotherapeuten, (https://christopherdiepenbrock.de/ in Hamburg und Martin Pucalka in der https://www.sport-reha-berlin.de/) Berlin, die mir halfen, fast wieder vollständig auf die Beine zu kommen, sodass ich tatsächlich irgendwann zumindest etwas laufen konnte. Das war nur möglich, weil beide nicht einfach nur ihren Job gemacht haben, sondern an meinem Fall interessiert waren.

Das Wichtigste dabei war jedoch, dass insbesondere Christopher mich aus meinem Kampfmodus-Denken herausholte und mir bewusst machte, dass es an der Zeit war, meinem Körper wieder zu vertrauen. Denn zu dem Zeitpunkt war mein Kampfmodus selbst schon zum Problem geworden.

Martin war bei jedem Hilfeschrei da, behandelte mich auch Abends noch for free nach einem langen Arbeitstag oder radelte einfach mal quer durch Berlin, wenn ich mal wieder gelähmt war oder schimpfte mit mir, wenn ich mal wieder nicht kapieren wollte, dass ich auch mal Pause machen sollte.

Mein erster Laufversuch nach über 2 Jahren begann mit 50m, was mir in Relation zu den 120km, die ich zuvor wöchentlich gelaufen bin, absurd vorkam. Doch es waren die schwersten 50m meines Lebens. Über das folgende Jahr kam ich immerhin wieder auf die Halbmarathondistanz, doch auch das nicht ganz schmerzfrei. In dieser Phase habe ich mich mehrmals an den Sprunggelenken verletzt, die nun der entscheidende Grund sind, weshalb ich das Laufen schließlich doch ganz aufgeben musste.

Heute denke ich, dass mich all diese Rückschläge gerettet und mir viel über mich und den Umgang mit meinen Ängsten gelehrt haben, auch wenn ich den Verlust des Laufens nie wirklich verarbeiten kann und etwas verloren gegangen ist, das ein Teil von mir war.

Ich habe gelernt, dass jeder kleinen Mini-Kampf, den ich täglich gegen meine Angst gewann, zählte und dass man selbst den hoffnungslosesten Kampf doch gewinnen kann, wenn man nicht aufgibt. Niemand anderes als ich, hätte mich da rausziehen können.

Ich bin zwar in vielerlei Hinsicht immer noch ein Eichhörnchen. Doch inzwischen mutiert das Eichhörnchen zur Not auch zu einem Terrier und beißt zu.

Ich trauere dem Laufen nach wie vor nach. Ich brauchte 3 Jahre, um mir Fotos aus alten Zeiten anzusehen oder generell mich mit irgendetwas rund um das Thema zu beschäftigen. Ich denke nach wie vor, wie eine Läuferin und wenn ich mal einen Laufversuch starte, merke ich, dass mein Körper das Bewegungsmuster nach wie vor sofort abrufen kann, nur dass ich Fußfesseln habe, die mich nicht weiterlaufen lassen.

Ich bin noch nicht sicher im Umgang mit dem Thema, denn ich muss die Sehnsucht nach den alten Zeiten unterdrücken. Es vergeht im Grunde kein Tag, an dem ich nicht daran denken muss. Dennoch versuche ich zu akzeptieren, dass ich diese Lektion lernen musste, denn mein Hang zum Extremen beim Laufen war zu groß und ich weiß, dass dieser nach wie vor in mir ist. Also versuche ich das Ganze als eine Art Selbstschutz zu interpretieren, weil ich das (Weg-)Laufen so sehr liebe, dass ich es nicht in einem gesunden Maß halten kann.


Foto by Kalen Emsley
Foto by Kalen Emsley