Fleischbeschau

Kommen wir zu einem Thema, dass die Welt spaltet und meine Influenzaaa-Karriere mit Sicherheit ins Unermessliche steigen lassen wird:

Fleisch.

Ich will hier keine Pro-Contra-Diskussion anstoßen, sondern erklären, wie der Fleischkonsum von Menschen bis vor wenigen Jahrzehnten eigentlich mal aussah. Ich denke, hier zeigt sich sehr deutlich, dass oftmals nicht Produkt X per se ein Problem darstellt, sondern die Massenproduktion von Produkt X bzw. das Konsumverhalten, da das Angebot der Nachfrage folgt.

Man braucht dazu eigentlich nicht mal großartig Wissenschaft betreiben, wenn Menschen mal kapieren würden, dass Extreme auf Dauer nie gut gehen, egal in welchem Kontext.

Wenn ich in ein System eingreife, egal ob ich etwas hinzufüge oder wegnehme, hat dies immer eine Auswirkung. Diese Auswirkung bleibt nie lokal, sondern weitet sich IMMER auf das Gesamtsystem aus. Das ist eine völlig normale Anpassungsreaktion, denn alles in der Natur strebt stets nach einem Gleichgewicht.

ACTIO = REACTIO

Das 3. Newtonsche Axiom habe ich schon in mehreren Blogposts erwähnt, weil es das Wesentliche zusammenfasst und auf ALLES übertragbar ist. Auf alles Sichtbare und Unsichtbare. Von zwischenmenschlichen Beziehungen, über den Körper bis hin zur Umwelt.


Dabei besteht auch ein positiver Zusammenhang zwischen, dem Ausmaß der Aktion und der Reaktion:

  • Je gemeiner ich mich gegenüber einem Menschen verhalte, desto heftiger wird seine Reaktion auf mein Verhalten sein.
  • Je härter ich diäte, desto heftiger wird die Abwehrreaktion meines Körpers sein.
  • Je mehr ich trainiere, desto müder wird mein Körper.
  • Je mehr Lebensmittelgruppen ich ausschließe, desto mehr Mangelerscheinungen wird mein Körper zeigen.
  • Je mehr wir die Umwelt verändern, desto heftiger werden die globalen Konsequenzen auf allen Ebenen sein.

Im Grunde müsste man dann doch denken, dass Menschen klug wären und erkennen, dass Extreme nie gut ausgehen. Doch wenn wir menschliches Verhalten beobachten, sehen wird immer wieder, dass sie eher zum Extremen, statt Moderatem neigen. Sei es, wenn es um Diäten, Konsum oder eben Umwelt geht.


Woran liegt das?
Das ist psychologisch gesehen, wieder ein komplexes Thema und wen das mehr interessiert, soll sich die Arbeiten von Daniel Kahneman und Amos Tversky ansehen.

Um es kurz zufassen: Menschen sind nicht gut darin, langfristig zu denken und wollen alles, lieber schnell und einfach haben. Das liegt wieder mal an unserem Hirn, das eben nicht so rational ist, wie wir das gern von uns glauben.

Deswegen ist Instagram so erfolgreich. Im Grunde nutzt es genau diese Tatsache aus. Insta ist ein Medium, das ein Abbild der impliziten Informationsverarbeitung in unserem primitiven, unterbewussten Teils unseres Hirns ist. Informationen, die von unserem Hirn schnell und einfach verarbeitet werden und primitive Instinkte und Emotionen triggern, führen stets zu schnelleren Reaktionen.

Sprich seksi Bildchen sind unschlagbar erfolgreich gegen lange Texte. Das kann man so akzeptieren oder eben im Sinne des Kontextes mal den kognitiven Aufwand betreiben und vorausschauend darüber nachdenken, welche gesellschaftlichen Konsequenzen es in der Zukunft haben wird, wenn wir in einer Welt leben, die primitive Affektreaktionen belohnt und aufwändigere kognitive Lernprozesse abstraft. Wenn das so weiter geht, leben wir bald in einer Welt mit globaler Impulskontrollstörung.



Kleiner Hinweis: unser Hirn ist plastisch und anpassungsfähig und muss stets wie ein Muskel trainiert werden, um zu wachsen und besser zu werden. Das beginnt mit der Geburt und endet  erst mit dem Tod. “Erwachsen” zu sein, rechtfertigt also keine kognitive Faulheit noch garantiert es die Fähigkeit rationale Entscheidungen zu treffen. Im Gegenteil. Die Annahme, dass man rational ist, etwas zu 100% kontrollieren kann, über Thema X alles weiß oder Entscheidungen unter 100%iger Sicherheit treffen kann, ist ein sicheres Zeichen für eine die eigene Irrationalität.

“Ich weiß, das ich nichts weiß” (Sokrates) und “Je mehr ich weiß, desto mehr erkenne ich, dass ich nichts weiß.” (Albert Einstein) sind vielleicht die wichtigsten Selbsterkenntnisse, die Menschen je hatten. Nur diese Selbsterkenntnis bewahrt davor, sich selbst und anderen zu schaden und verleitet zum lebenslangen Lernen.
Dank an Sokrates und Einstein an dieser Stelle.


Wenn ich mein Hirn also nicht stets herausfordere, lernt es auch nichts dazu. Wenn wir in einer Gesellschaft leben, die kognitive Couchpotatos heranzüchtet, werden wir immer mehr Menschen haben, die immer weniger in der Lage sind rationale Entscheidungen zu treffen und stattdessen, von Ego, Emotionen und Biases ferngesteuert agieren. Dafür werden wir immer weniger Sokratese und Einsteins haben. Den Trend sieht man schon jetzt.



Nun gut, das war ein langer Umweg, um zur Beschreibung des Fleischkonsums meiner Oma zu kommen. Doch ich möchte mir selbst nicht den Vorwurf machen, dass ich nicht zumindest versucht habe, eine paar Menschen vor dem kognitiven Couchpotatodasein zu bewahren. Daher sind solche Umwege doch ganz nützlich, um am Ende mehr erlebt und dazugelernt zu haben. 

Ok, also Fleisch und meine Oma…

Fleisch war stets kostbar und wurde in nicht in rauen Mengen und so selektiv wie heutzutage konsumiert.

Sowas wie nur die mageren Teile des Tieres zugunsten der Topform zu essen, kannte man nicht. Im Gegenteil. Die fetten Teile des Tieres waren besonders wertvoll.



Ich kann mich erinnern, dass es Fleisch oft nur zum Wochenende und zu besonderen Anlässen, wie Ostern oder Weihnachten gab. Dann wurde meist auch das ganze Tier irgendwie verarbeitet.

Innereien wurden meist mit Reis, Kartoffeln, Gemüse oder Hülsenfrüchten eingekocht. Gerade Innereien sind etwas, dass in unserer modernen Fitnesswelt gar nicht mehr gegessen wird. Ich bekenne mich als mitschuldig, doch ich kann mich erinneren, dass ich die Gerichte früher gern gegessen habe.

Darm und Bauchnetz wurden um die Spieße oder Fleischstücke gewickelt. Das Hirn und die Augen wurden vom Familienoberhaupt, also dem Mann gegessen.

Mein Vater hat erzählt, dass die Familie früher die Schlachtung und Verarbeitung von 2 Schweinen in Auftrag gegeben hatte. Die wurden dann komplett verarbeitet und reichte für eine ganze Familie ein Jahr.

Ich kann mich auch erinnern, dass meine Oma immer erst mir das Fleisch gegeben hat und sich selbst nichts genommen hat. Stattdessen hat sie das Knochenmark aus den Knochen gekratzt.

Generell war es immer so, dass v.a. die Kinder zuerst das Beste und Meiste bekommen haben.


Dazu mal wieder eine Annas Oma Anekdote:

Zum Beispiel hat meine Oma ein großes Blech mit Reis und Fleisch vorbereitet und das Blech dann so auf den Tisch gestellt, dass der Fleischteil eher auf Seiten der Kinder (bei meinem Vater und meinem Onkel) war und der Reisteil eher bei meinem Opa. Mein Opa kam also nicht so einfach an das Fleisch heran und musste sich erst durch den Reisteil essen. Doch bis dahin war er schon satt. So haben die Kinder mehr Fleisch bekommen. Mein Opa soll geschimpft haben, aber da meine Oma das implizite Sagen hatte, hatte er keine Chance. #weibchenskills

Fazit: Fleisch war besonders wertvoll und hier v.a. Teile, die in unserer Überflussgesellschaft verschmäht werden. Fettiges, knorpeliges Fleisch und Innereien waren besonders beliebt.

Im Gegensatz dazu isst man bei uns am liebsten die magere Puten- oder Hähnchenbrust, die in Massenproduktion und Plastikverpackungen für die figurbewussten Konsumenten hergestellt werden und ignoriert die Tatsache, dass der restliche Teil des Tieres unhygienisch und subventioniert z.B. nach Afrika verschifft wird und zu billigeren Preisen angeboten wird, als das Fleisch der regionalen Bauern, deren Existenzgrundlage damit erodiert wird.

Der selektive “Das esse ich aber nicht” Fleischkonsum in Kombination mit der Massenproduktion des “Ich esse aber nur das” der reichen Fitnesslaifstail- Industrieländer, ist vielleicht eher das Problem, als das Fleischessen per se.