Gurkiporn #11: Das Hoch der Tiefs

Heute zerlegen wir eine kognitive Dissonanz, die wesentlich zur chronischen Unzufriedenheit von Menschen beiträgt. Ich klassifiziere sie hiermit auch einfach mal als VolksGEISTESkrankheit. Da ich Fitnessmensch bin, kann ich ohnehin machen und sagen was, ich will, unabhängig davon, was das anrichtet.

Höchste Prävalenz verzeichnet diese Krankheit unter Menschen, die gut aussehen wollen und/oder Dinge zerdenken. Betrifft also irgendwie jeden.


Das kognitive Dissonanz Problem besteht vereinfacht gesagt darin, dass Menschen negative Ereignisse oder Tiefphasen überhaupt als erst als negativ bewerten. Die Bewertung an sich ist also das Problem, so absurd es auch erscheinen mag. Doch das es absurd erscheint, ist Zeichen dafür, wie tief diese Bewertung in unserem Unterbewusstsein sitzt.

Hinzu kommt, dass negative Ereignisse und Phasen, dann auch noch schwerer gewichtet werden als die positiven. Wenn was Doof ist, dann ist das Leben voll scheiße und wenn was gut ist, fällt es Menschen kaum auf. Dies sind natürlich super Voraussetzungen für ein erfülltes Leben.

Jede Art der Bewertung ist ein rein menschliches Gedankenkonstrukt, das eigentlich gar nicht existiert, aber ganz zweckmäßig ist. Wer das nicht glaubt, sollte mal kleine Babies beobachten oder sich in den Zoo setzen und Beobachtungsstudien durchführen.

Ein paar Gedankenexperimente dazu:

1. Angenommen du machst dir seit Jahren Gedanken darum, dass du zu dick bist und hast deswegen ständig schlechte Laune. Existiert das Problem für die reale Welt außerhalb deines Kopfes noch, wenn du auf der Stelle tot umkippst?

Nö.

Sobald du nicht mehr existierst, existiert auch das Problem in deinem Kopf nicht mehr. Ein klares Indiz für die Macht deiner Gedanken.

2. Schonmal eine Katze gesehen, die sich nach der Schwangerschaft auf Diät setzt, weil sie einen Hängebauch bekommen hat und einen Kater, der ihr dann mitgeteilt hat, dass sie zu fett geworden und nicht seksi genug ist?

3. Schonmal gesehen, dass ein Delfin zu einem Kugelfisch gesagt hat, dass er zu fett ist?

4. Schonmal gesehen dass ein Walross depressiv auf einer Eisscholle rumhängt, weil es die Arschkarte im genetischen Roulette des Schönheitswettbewerbs unter den Arten gezogen hat?

Foto by Noaa



Sicher auch nicht.

Warum machen die das nicht?

Das hat zwar mehrere Gründe, aber überwiegend liegt das einfach an der Bewusstseinsebene und wie dieses Bewusstsein im Laufe des Lebens geprägt wird. Mit Prägung sind hier Lernprozesse gemeint, die zu Bewertungen führen, sodass Menschen sich in ihr Sozialgefüge integrieren können (ingroup-outgroup Bias).

Vereinfacht gesagt, lernen wir den Herdentrieb, um in unserer Herde nicht negativ aufzufallen und das schwarze Schaf zu sein. Dazu muss man eben wissen, was die Herde als positiv vs. negativ, gut vs. böse, recht vs. unrecht, schön vs. unschön usw. bewertet.

Auch unter den Menschen gibt es wiederum eine Varianz an Herdenregeln. Im Kongo wärst du z.B. als Fitnessbarbie das schwarze Schaf und man würde sich fragen, was mit dir nicht stimmt, dass du so aussehen willst. Das kongolesische Schönheitsideal steht dem Fitnessbarbie-Ideal quasi diametral entgegen. Statt zu versuchen, wie Fitnessbarbie auszusehen, sollte man daher vielleicht einfach einen Ortswechsel in Erwägung ziehen. Statt ein Leben lang gegen den eigenen Körper zu kämpfen, einfach ins Flugzeug setzen und das Problem hat sich in 6-7 Flugstunden erledigt.

Na ja, Hauptsache dazu gehören und sich bloß nicht unbeliebt machen, war evolutionsbedingt mal eine wichtige Sache, nur leider hat die Evolution nicht vorausgesehen, dass das auch schief gehen kann, sofern sich die Herde dumm verhält. Aber das fällt dann vermutlich auch unter natürliche Selektion, denn egogetriebene, selbstzerstörerische Herden, haben sich im Laufe der Geschichte immer von Innen heraus selbst zerstört. Ist alles nur eine Frage der Zeit. Dann braucht man als Frau vielleicht doch nicht in den Kongo auszuwandern, wenn man essen will. Hoffen wir, dass das bald passiert und wir nicht mehr solang warten müssen.

Zurück zu den Bewertungen:

Dies lässt sich auch auf die Tiefs übertragen, die wir im Laufe unseres Lebens durchleben: Wir finden das dann nur schlimm, weil wir es negativ bewerten und wir bewerten es negativ, weil wir erwarten, dass immer alles gut sein muss und davon ausgehen, dass Prozesse stets positiv linear verlaufen. Und wir erwarten dies, weil wir das so gelernt haben und wir haben das so gelernt, weil wir in einer Konsumgesellschaft leben, die nur bestehen kann, wenn du davon ausgehst, dass du, so wie du bist, noch nicht gut genug bist und etwas brauchst, damit du dich gut fühlst. Dadurch fühlst du dich schlecht und bist unzufrieden, sodass du die Dinge kaufen willst, die dir versprechen, dich gut fühlen zu lassen.



Eine Diätprodukt kaufst du dir, weil du abnehmen willst und du willst abnehmen, weil du Dünnsein als ”besser” bewertest als “dick” sein und du bewertest das so, weil man dir das so beigebracht hat. Real existiert diese Bewertung nicht und das gesamte Universum weiß nichts von dem Hokuspokus und es ist ihm auch ziemlich egal, weil es einfach das Universum ist.


Zurück zu den Prozessen: Diäten sind auch Prozesse. Training (Muskelaufbau) auch. Hier zeigt sich bei Frauen ein Phänomen, das sich auch in Frauenfitnessprogrammen widerspiegelt. Wenn man die Psychologie von Frauen einmal kapiert hat, kapiert man auch, warum diese Programme so sind, wie sie sind.

Sowohl Diäten als auch Training sind beides Prozesse, die davon gezeichnet sind, dass man den inneren Schweinehund überwinden muss.

Beim Diäten darf man nicht so viel essen wie man gern würde und muss Hunger aushalten.
Beim Training muss man den Booty hochkriegen und sich anstrengen.

Nun ist das Lustige, dass Frauen Hunger als negativ bewerten, aber körperliche Erschöpfung durch bspw. Bootytraining als positiv. Beides sind an sich, nichts mehr als körperliche “Warnsignale”. Training entspricht eigentlich vor dem Säbelzahntiger wegrennen und eine Diät einer Hungersnot. Durch das Fitnessmarketing wird beides in den Köpfen der Menschen jedoch implizit anders bewertet.

Frauen brauchen beim Training das Gefühl “was gemacht zu haben” unabhängig davon, ob es tatsächlich effektiv ist oder nicht. Wenn sie nach dem Training Muskelkater haben, bewerten sie das grundsätzlich als positives Zeichen. Wenn sie keinen Muskelkater haben, verunsichert sie das.

Körperlicher Schmerz wird hier also implizit positiv belegt und das einfach nur, weil wir in einer Welt aufgewachsen sind, in der Training, körperliche Herausforderung, sportlicher Ehrgeiz, Muskelaufbau als positiv bewertet werden. Für den Körper bleibt es am Ende einfach nur vor dem Säbelzahntiger wegrennen.

Dies war auch ein Grund, warum ich bei meiner Arbeit in der Branche lernen musste, dass es nichts bringt den Verantwortlichen der Fraeunfitnessprogramme zu erklären, was gesünder wäre. Die Nachfrage nach den Fitnessprogrammen würde einbrechen, wenn Frauen weniger trainieren müssten. Denn das würde die Käuferinnen verunsichern, da sie denken, dass das Training dann nicht effektiv ist. Hier werden keine Tatsachen, sondern Gefühle und Hoffnungen verkauft.

Die Fitnessbranche ist überwiegend rein gewinn- und damit massenmarktorientiert. Daher müssen sich diese Unternehmen zu 100% nach der Nachfrage richten und diese Nachfrage bestimmen die Frauen ganz allein. Das wird solang funktionieren, solang Frauen sich nicht selbst reflektieren. Da wir in einer Welt leben, die auf affektive statt kognitive Informationsverarbeitung setzt und intellektuelle Herausforderung gemieden wird, wird das nie passieren. Die Evolution der Social Media ist ein Beleg dafür und wird diesen Selbstzerstörungsprozess weiter forcieren.

Dass die Programme so sind wie sie sind, liegt also nicht daran, dass böse Fitnessmenschen per se Frauen kaputt machen wollen, sondern dass sie die Tatsache ausnutzen, dass sich Frauen selbst kaputt machen wollen, weil das bequemer ist, als an der eigenen Bias zu arbeiten, das Ego aus- und den Kopf einzuschalten. Die moralische Frage, warum Fitnessmenschen überhaupt die Bereitschaft haben, sowas auszunutzen, ist ein Thema für sich, beginnt jedoch auch wieder auf der Bewusstseinsebene.


Zurück zu Prozessen: Natürliche Prozesse sind eigentlich selten linear. Ich würde sogar behaupten, dass Prozesse erst zu Prozessen werden, weil Prozesse immer von Variablen bestimmt sind und Variablen sind nun mal keine Konstanten. EIne Welt aus Konstanten wäre statisch. Hier gäbe es keine Prozesse. Wenn man an einer Variablen dreht, wirkt sich das in einer Kettenreaktion auf das ganze System aus. Und da Zeit auch keine Konstante ist, haben wir noch mehr Dynamik und damit Action im System.

Unser Leben ist das System und die Action, alles was wir darin erleben. Alles “Positive” als auch alles “Negative”. Wenn man jetzt überlegt, wie viele externe und interne Variablen auf so ein System einwirken könnten, sollte wohl klar sein, dass die Erwartung, dass die Action immer nur Spaß macht und positiv ist, utopisch ist. Mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit hat jeder Mensch auch jede Menge “negative” Action in seinem System.

Oder anders gesagt, die Scheiße im Leben ist eben einfach Teil des Lebens. Fühlt sich doof an, aber mit der Geburt bekommt kein Lebewesen auf dieser Welt die Garantie geschenkt, dass  sich alles gut anfühlen muss.

Ist das jetzt nihilistisch?

Nö.

Die Annahme, dass das nihilistisch wäre, wäre im Umkehrschluss selbst wieder eine, von Menschen gemachte Bewertung.

Wir brauchen die negativen Gefühle, die Tiefs, die Dramen und die Unzufriedenheit, damit wir lernen und überhaupt einen Anreiz haben, uns weiterzuentwickeln.

Wenn du in einem Tief bist, sind deine Gedanken im besten Fall auf Veränderung und Lösung gerichtet. Dies impliziert immer ein Entwicklungspotenzial.

Tiefs und Fehler sind eigentlich immer Teil eines Weges. Sie sind nicht der “falsche” Weg, sondern so eine Art Autocorrect deines Systems, also deines Lebens, die sich wieder auf den richtigen Weg schubsen, falls du mal abkommen solltest.

Fehler und Tiefphasen sind dazu da, dich wachzurütteln, dir zu sagen, dass du auf dem Holzweg warst und nicht in Übereinstimmung mit deinen Bedürfnissen oder dem, was gut für dich ist, gehandelt hast.

Wenn es also keine Fehler und Tiefs im Leben gäbe, hättest du nichts, was dich darauf hinweist, dass du gerade dein Leben vergeudest.

iefs sind wie ein Katapult zum Hoch. Wenn dir das nächste mal ein negatives Gefühl aufkommt oder du Fehler machst, verurteile dich nicht dafür, sondern frage dich was dir das über dich sagen soll. Warum brauchtest du diese Lektion?

Wir finden dieses Prinzip des Auf und Abs, des beständigen Wechsels, des “Alles fließt” überall auf der Welt, in allen Lebewesen (sowohl Biologie als auch Psychologie von Individuen als auch von Kollektiven), in allen Naturwissenschaften, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, in einfach allem.

Der Wechsel allein ist das Beständige, wie Arthur Schopenhauer schon meinte und dies gilt für jedes System. 

Joseph Schumpeter hat dies mit seiner “schöpferischen Zerstörung” z.B. für Wirtschaftssysteme beschrieben. Nichts ist statisch, alles ist ein stetiges Auf und Ab und das Auf ist erst durch das Ab möglich.

Dies ist auch ein Grund, weshalb es Kriege gibt. So bescheuert das klingen mag. Aber die Zerstörung, die Kriege anrichten, schaffen künstlich neue Nachfragen und Märkte. Das fängt mit der Waffenproduktion an und geht dann weiter mit dem ökonomischen Wiederaufbau. Der ständige Wechsel zwischen Krieg und Frieden waren traurigerweise schon immer ein sehr effektiver Motor für Wirtschaftssysteme.

Vielleicht ist die Fitnesswelt deswegen so zerstörerisch. Wenn man Menschen erstmal kaputt macht, kann man ihnen etwas verkaufen, das ihnen Heilung verspricht. Bevor Menschen zum Fitness kommen und in Frieden lebten, brauchten sie nichts, was sie heilt. Wenn sie dann Fitness machen, bekriegen die Menschen ihren Körper und brauchen dann etwas, was die Kriegsverletzungen heilt. Clever eigentlich.

Foto by Hasan Almasi