Gurkiporn #9: Wie dein Kopfkino in deinen Kopf kommt

So Lustmolchies, auf gehts!

Wie wir alle wissen, ist das Leben sehr ungerecht. Und das natürlich und selbstverständlich vor allem für Frauen. 

Frauen haben schließlich immer die Arschkarte, weil sich das die Menschen irgendwann mal so ausgedacht haben. Die Logik dieser Annahme erschließt sich auf Anhieb nicht so recht, denn der offensichtlichste Unterschied zwischen Mann und Frau besteht darin, dass Frauen Kinder zur Welt bringen. Doch es wird sicherlich einen tieferen Sinn haben, dass die, die die Arschkarten verteilt haben, diese überwiegend denen zugeschoben haben, die eh schon die Last der Aufrechterhaltung der Menschheit tragen dürfen. Wenn schon, denn schon.

Wenn Frauen wirklich das schwache Geschlecht wären, würde diese Logik keinen Sinn machen, denn die Kombi schwaches Geschlecht und Arschkarte dürfte geradewegs zum Aussterben der Menschheit führen, was sie zumindest bis jetzt NOCH nicht getan hat.

Da wir also noch leben, dürfte das bedeuten, dass Frauen clever genug sind, mit ihren Arschkarten zu spielen oder zumindest stark genug sind, die Arschkarten tapfer wegzustecken.

Was bleibt Frauen auch anderes übrig. Sie haben sich schon so sehr daran gewöhnt, dass sie es selbst kaum hinterfragen, dies zu ihrer und der gesellschaftlichen Normalität geworden ist. Also spielen sie die Spiele ihres Lebens, dann eben mit den Karten, die man ihnen gegeben hat, selbst wenn es Arschkarten sind.

Zum Beispiel müssen sie bei Schönheitswettbewerben mitspielen. Da sind die Karten auch ungerecht verteilt.

Es gibt nämlich so gemeine Frauen, die schöner sind als andere Frauen. Das ist natürlich auch voll ungerecht und ein handfester Grund, sich selbst zu bemitleiden, sich selbst nicht zu mögen und seine Lebenszeit darin zu investieren, die Bjuti-Arschkartenspiel irgendwie mitzuspielen, statt einfach aus dem Spiel auszusteigen und sich lustigere Spiele zu suchen.

Bei diesem Spiel ist mit schöner per se schlanker gemeint, weil schlank sein heutzutage, eben als schön gilt. Das haben sich übrigens auch mal Menschen ausgedacht. Und was sich Menschen ausdenken, wird zur Realität, egal ob das Gedachte wirklich real ist oder nicht. Geschweige denn, ob es Sinn macht.

Würden wir in einer Welt leben, in der dick sein, als schön gilt, wäre das Leben auch ungerecht, weil es dann auch wieder gemeine Frauen gäbe, die dicker und damit wieder schöner als andere Frauen sind.

Wie man es auch dreht, als Frau ist man immer das wehrlose Opfer, weil man nicht die Kirsche auf der Sahnetorte sein darf und bei dem, was sich Menschen ausdenken, immer die Arschkarte bekommt. Schlimm.

Der Selbstwert hängt also davon ab, was sich Menschen so ausdenken oder besser gesagt, beschließen, schön zu finden. Dies wird dann auch zu unserer Realität im Kopf, selbst wenn es eigentlich gar nicht real ist. Das Besondere ist noch, dass diese Realität adaptiv ist. Das bedeutet, dass sie soziokulturell und damit zeit- und ortsabhängig ist.

Das lässt sich sehr leicht mit Blick auf die Geschichte belegen. Hier zeigt sich auch, dass sich der sexuelle Marktwert einer Frau über weit mehr als rein äußerliche Signale der Fruchtbarkeit definiert. Wenn es nämlich danach ginge, gäbe es keine Fitnessbarbies, weil die jedes Anzeichen von Unfruchtbarkeit an sich tragen.

Die von Menschen erdachten Hirnkonstrukte bzgl. Schönheitsidealen sind also mächtiger als vielen bewusst ist und nicht rein evolutionsbiologisch begründet. Was aber eigentlich von Vorteil sein könnte, da dies impliziert, dass die Arschkartenverteilung nicht nur eine Frage des genetischen Roulettes ist, sondern zu einem gewissen Grad auch durch uns selbst manipulierbar ist. Schließlich denken wir Menschen uns diese Konstrukte selbst aus. Wobei man hier dann auch sagen könnte, dass dies nur ein Vorteil unter dem Vorbehalt der Annahme ist, dass Menschen rational entscheiden. Das tun sie jedoch nicht. Also nehme ich das mit dem Vorteil zurück und kehre es in einen Nachteil um. Passt auch besser zur Realität.

Das Erdenken der Hirnkonstrukte, geht vom Kollektiv aus und wird vom Individuum unbewusst übernommen. Was eigentlich nicht mehr notwendig wäre, da wir zum Glück nicht mehr in einer Zeit leben, in der das Überleben des Individuums vom Kollektiv abhängig ist. Das vergessen wir nur sehr oft. Wenn wir der Herde nicht hinterherrennen, fühlt sich das vielleicht erstmal doof an, macht aber am Ende nichts. Es könnte einem vielleicht sogar Stress und so einige Dummheiten ersparen, denn von Schwarmintelligenz kann man bei Schafs- bzw. Menschenherden nicht zwingend ausgehen.

Wer das zu nihilistisch findet, braucht sich nur mal die Algorithmen der sozialen Medien anzusehen, die nichts anderen als die primitivsten, menschlichen Instinkte widerspiegeln. Die Existenz eigentlich überflüssiger Ersatzreligionen (z.B. Fitness) und ihrer Ersatzgötter (z.B. Fitnessbarbies) sind ein weiteres Indiz dafür. Der Mensch scheint es irgendwie zu brauchen, an etwas zu glauben und sich freiwillig zu unterwerfen. Schwarmdummheit statt -intelligenz trifft es in dem Fall vielleicht eher.

Wobei auch das nicht stimmt, denn das Gegenteil von Intelligenz ist nicht Dummheit, da sich die Dummheit am unteren Rand der Intelligenzskala befindet. Dummheit ist also ein Teil der Intelligenz. Eben einfach nur verdammt wenig Intelligenz. Ein Grund mehr, eine Ladung Nihilismus drauf zu packen.

Oder versuchen wir es besser mit Zynismus. Das ist quasi Nihilismus in Kombi mit emotionaler Resignation. Das macht die Realität viel erträglicher und hilft dabei, sein Leben halbwegs würdevoll durchzustehen.

Kommen wir zurück zu den, von Menschen erdachten Hirnkonstrukten, die uns Frauen, sagen was gerade als schön gilt und illustrieren dies an einem realen Beispiel: Das Frauenbild im Barock des 17.-18 Jahrhunderts.

Würden wir Frauen nämlich im Barock leben, dürften wir essen was wir wollen und dürften stolz und seksi unsere Speckrollen zur Schau tragen, ohne beleidigt zu werden und wären so begehrenswert wie die Fitnessbarbies mit ihrem Sixpack heute.

Wir müssten nicht ins Gym gehen und uns nicht in Presswurst Bootyleggins quetschen und Selfies von uns machen, um der Welt unseren sexuellen Marktwert mitzuteilen.

Stattdessen würden wir mit der Kindermassenproduktion beschäftigt sein sein, was ja in dem Fall auch ginge, weil wir mit dem Barocklaifstail unsere Hormone nicht schrotten müssten. Weil dann alle Frauen schwangerschaftsgeschädigte Körper mit Narben, Rissen und Speckrollen hätten, wäre die Ungerechtigkeit gleich verteilt und auch völlig normal.

Foto by Vlad Kutepov

Statt der Bootyleggins würden wir üppige Kleider mit lauter Schnickschnack unter dem Rock tragen, die uns bei jeder Bewegung einschränken. Dafür würden wir uns das Fett am Flutschbauch mit Korsagen wegschnüren müssen, aber so, dass das Fett dann oben am ausladenden Dekoltées mit den Brüsten wieder rausflutscht. Alles eine Frage der Verteilung.

Das “da weg und da was hin” Prinzip ist wohl die einzige Konstante beim Wandel des weiblichen Schönheitsideals. Irgendwo haben wir Frauen immer etwas zu wenig oder zu viel, sodass wir das über die Kleidung optisch kaschieren mussten. Heute ist das etwas schwieriger, weil wir so gut wie keine Kleidung mehr tragen dürfen. Jetzt müssen wir auch nackt gut aussehen und das auf Insta unter Beweis stellen. Daher bedienen wir uns direkter chirurgischer Eingriffe, müssen Muskeln aufbauen und zu sonstigen modernen Optimierungsmaßnahmen greifen.

Immerhin hätten wir dann auch Brüste, die groß genug sind, dass sie überhaupt flutschen können, weil wir die nicht wegdiätet hätten. Da wir auch unseren dicken Cellulite Booty unter dem Rock verstecken müssten, blieben uns von den sekundären Geschlechtsmerkmalen ohnehin nur die Brüste übrig, die wir den Barock-Ugga Uggas präsentieren müssten, damit die uns toll finden. Barockbarbies würden quasi für besonders herausflutschensten Brüste die meisten Ugga Ugga Likes und Kommentare bekommen.

Das Phänomen zieht sich immerhin konstant durch die Geschichte: Egal wie das Schönheitsideal einer Epoche aussah, es ging bei Frauen primär stets um körperliche Reize, wohingegen bei Ugga Uggas Statussymbole dem Wandel der Zeit unterlagen.

Das Maß der gegenwärtigen Körperlichkeit der Fitness Ugga Uggas sticht historisch gesehen, irgendwie hervor, was vielleicht auch am Wandel der gesellschaftlichen Rollenbilder von Mann und Frau liegen könnte. Für ausgleichende Gerechtigkeit plädiere ich dafür, dass Frauen ihre Ansprüche an die Ugga Ugga Körper an den Umfang und Schwierigkeitsgrad der Ansprüche an sie selbst angleichen und bei Nichterfüllung, dieselben takt- und liebevollen Bestrafungsmaßnahmen à la „Du siehst sch… aus“ anwenden. Wenn sich die Ugga Uggas dann darüber beschweren, dann sollten sie als gestört und undiszipliniert abgestempelt und schleunigst durch unterwürfige und beherrschbare Ugga Uggas ersetzt werden. Heutzutage können Frauen sich das durchaus leisten.

Denn Frauen sind wirtschaftlich nicht mehr im gleichen Maß von Ugga Uggas abhängig wie früher. Sie können ihr eigenes Geld verdienen und können das Risiko einer Schwangerschaft zumindest selbst beeinflussen. Beides konnten die Weibchen früher nicht, was sie bereits in jungen Jahren in eine abhängige Position gebracht hat. Feminismus konnte man sich als Frau damals also nicht leisten, wenn man mit seinem Kindergarten überleben wollte.

Vielleicht ist dies der Grund, warum gerade sehr emanzipierte Frauen heutzutage von archaischem Ugga Ugga Verhalten abgeschreckt sind und sich lieber mit Ugga Uggas paaren, die kopfmäßig in der Moderne angekommen sind und Weibchen auf Augenhöhe sehen und ihnen, ihr maximales Entwicklungspotenzial ermöglichen. Für Frauen, die wirtschaftlich unabhängig sind, gibt es keinen Grund mehr, sich zu unterwerfen oder schlecht behandeln zu lassen, sofern der Mann dies tut. Es sei denn sie tun es, weil sie es brauchen und nicht anders gelernt haben. Wir wissen heute, dass Väter entscheidend das Männerbild ihrer Töchter und die Vorstellung davon, wie eine Beziehung zu funktionieren hat, beeinflussen. Emanzipierte Frauen haben tendenziell progressiv denkende Väter, was dann eben dazu führt, dass sie diesen Anspruch auch an ihre Partner stellen.

Ich denke, dass auch dies ein Indiz dafür ist, dass wir in einer Zeit leben, in der das archaische mit dem progressiven Frauen- und Männerbild kollidiert und eine Neuordnung stattfindet.

Wir wissen heute bspw., dass Vaterliebe bei der Kindesentwicklung bisher völlig unterschätzt wurde und diese für die soziale, emotionale und kognitive Entwicklung des Kindes mindestens genauso wichtig ist, wie die Liebe und Fürsorge der Mutter (Rohner/Veneziano, 2001) . Diese Entdeckung ist noch relativ neu und steht entgegen der Annahme, dass allein die Frau, für die Mutterrolle geboren sei und diese eine wichtigere Rolle bei den Entwicklung des Kindes spielt.

Ursache für diese Fehleinschätzung ist die soziokulturelle Prägung in den Köpfen der Menschen, die die Mutterrolle stets über Vaterrolle stellte und dies so zu einer selection Bias sogar in der Wissenschaft führte. Also hat sich die Forschung auf die Rolle der Mutter konzentriert, sodass die Selection Bias zur Confirmation Bias wurde und sich das menschenerdachte sozikulturelle Rollenbild von Mann und Frau bestätigt hat.

Nun ja, zum Glück gab es ein paar unbiased Forscher, die aufgrund des aufkommenden Feminismuses das Ganze hinterfragt haben und überraschend feststellen, dass wir Menschen unserer eigenen Bias zum Opfer gefallen sind. Die Forschung kann diese klischeebehafteten Rollenbilder nämlich nicht bestätigen. Im Gegenteil.

Es hat sich gezeigt, dass die Rolle des Vaters mindestens (!) genauso wichtig ist, wie die der Mutter. In einigen Punkten spielt die Vaterliebe sogar eine übergeordnete Rolle. Fehlende oder mangelnde Vaterliebe führt sogar zu Einschränkungen bei der Kindesentwicklung. Ein Mangel an Aufmerksamkeit des Vaters führt sogar zur Aktivierung der Gehirnregionen, die auch für physischen Schmerz zuständig sind und können sogar langfristig bestehen bleiben und immer wieder durchlebt werden.

Väter haben z.B. auch einen erheblichen Einfluss die akademische Laufbahn ihrer Töchter (Im Gegensatz zu den 1970er, landen Töchter mit 3x höherer Wahrscheinlichkeit in dem gleichen Berufsfeld des Vaters). Außerdem zeigen Statistiken, dass Frauen in Führungspositionen überdurchschnittlich oft ein gesundes Verhältnis zu ihrem Vater haben.

Die Tatsache, dass Frauen gegenwärtig überhaupt in Führungspositionen landen können, zeigt also bereits, dass hier auch eine Veränderung der Vaterrolle stattfindet, die nicht einfach durch launische Feministinnen angeheizt wurde, sondern notwendig ist, wenn wir in einer Gesellschaft mit Menschen leben wollen, die ihr volles Potenzial entfalten können.

Wenn wir das nun rein evolutionsbiologisch betrachten, ist wohl klar, dass Frauen, die heutzutage nicht mehr in Massenproduktion Kinder gebären müssen, sich sehr genau überlegen, mit welchen Ugga Uggas sie sich fortpflanzen. Wenn sie nur das Beste für den Nachwuchs wollen, werden sie sich auch die Ugga Uggas aussuchen, die sich an den Wandel der Zeit und ihrer Rolle angepasst haben, weil diese, die beste Entwicklungsmöglichkeit für den Nachwuchs gewährleisten. Eine emanzipierte Frau, die will, dass ihre Tochter ebenfalls frei ist, wird sich nur mit einem Ugga Ugga fortpflanzen, der dieses Frauenbild auch befürwortet. Alles andere macht keinen Sinn für sie.

Nun ja, aber da wir Frauen uns nun alle unfruchtbar hungern müssen und viele Dank des Ugga Ugga Angebots, die mit den veränderten Bedürfnissen der Weibchen noch nicht ganz mitkommen, eh schon kein Bock mehr auf Kinder haben, ist das alles auch nicht so relevant.

Kommen wir zurück zum Schönheitsideal:

Wenn dick sein angesagt ist, wollen wir Frauen dick sein und wenn dünn sein angesagt ist, wollen wir dünn sein. Und wenn wir das dann nicht sind, maulen wir rum.

Mal abgesehen davon, dass die Weibchen im Barock, richtig essen dürften, mussten die auch keine seksi Selfies auf Instagram posten.

Das hat vermutlich nochmals viel Stress erspart, weil man nicht ständig die globale Weibchenkonkurrenz im Blick hatte, sondern Vergleiche nur auf lokaler Ebene stattfanden.

Statt mit Miss Universe hat man quasi nur mit der Dorfschönheit konkurriert. Da war das Ganze auch noch ein Fairplay, weil die Dorfschönheit auch noch kein Photoshop hatte. Da wurde noch mit realen, naturalen Waffen gekämpft.

Wie auch immer, Fakt ist, dass sich die Barockweibchen, weit weniger schlecht fühlen mussten, da der Abstand zur Konkurrenz dann doch irgendwie überschaubar war.

Moderne Weibchen müssen heute globale, digitale Schönheitswettbewerbe ausfechten, die real und lokal gar nicht existieren, sich im Kopf aber real und lokal anfühlen. Diese werden umso realer, da die Ugga Uggas den globalen Schönheitswettbewerb und damit das globale Angebot auch mitverfolgen können und durch die Anpassung ihres Verhaltens, das Ganze für die Weibchen noch realer wird. Wenn die lokale Dorfschönheit, nun eerfährt, wie all die anderen Dorfschönheiten auf der Welt aussehen und sie nicht die Schönste ist, fühlt selbst sie sich schlecht, sofern der Sinn ihres Lebens darin besteht die Schönste sein zu wollen. Dies ist ja in Anbetracht des Frauenbereichs der Fitnessszene keine ganz abwägige Annahme.


Das unsere Stimmung in dem Maß durch Bildern so beeinflusst werden kann, liegt daran, dass unser Hirn noch nicht zwischen modern und barock unterscheiden kann, geschweige denn zwischen Steinzeit und Moderne.

Unser Hirn behandelt das, was wir sehen als reale Tatsache. Ob wir Fitnessbarbies Selfies auf Insta sehen oder die Gute direkt vor uns steht, macht in Hinblick auf die Informationsverarbeitung des Gehirns keinen Unterschied.

Dies ist der Grund, warum selbst Bilder, von denen wir wissen, dass sie nicht real sind, dennoch eine emotionale Reaktion hervorrufen und unser Denken beeinflussen. D.h. du weißt zwar dass Fitnessbarbie kein fairplay macht und Photoshop einsetzt, fühlst dich beim Anblick ihres Bildes und deines Spiegelbildes dennoch immer schlecht.

Das wird auch solang anhalten, solang du dir Fitnessbarbiebilder ansiehst, weil dein Gehirn immer schön getriggert wird und das umso mehr, je mehr und öfter du in diese Bilderwelt eintauchst.

Foto by Mateus Campos Felipe

Das mit den Bildern funktioniert, wie mit allem im Leben: Man gewöhnt sich daran, je länger und mehr man damit zu tun hat. Die Illusion wird zur Realität und langfristig zur Normalität.

Diesen Gewöhnungseffekt kannst du sehr einfach überall und in jedem Zusammenhang beobachten.

Wenn du jemanden gerade erst kennenlernst, ist dieser Mensch zunächst fremd für dich, doch je mehr Zeit du mit ihm verbringst, desto vertrauter wird er dir. So vertraut, dass ihr eine nonverbale Kommunikation entwickelt und ihr die anfangs auffälligen Mimiken und Gestiken schon gar nicht mehr wahrnehmt. 

Wenn du immer mehr süße oder salzige Dinge isst, gewöhnst du dich auch daran und brauchst allmählich immer mehr davon, um das Geschmackserlebnis intensiv genug zu halten. Wenn du dann mal Ungesüßtes und -gesalzenes isst, schmecken die Dinge fad und langweilig.

Alles, was du also lang und intensiv genug konsumierst, wird zu deiner Normalität, unabhängig davon ob es physisch und psychisch gut für dich ist.

Wenn du dich also ständig mit Frauen beschäftigst, die dein Minderwertigkeitsgefühl triggern, ist es normal für dich, dich minderwertig zu fühlen.

Wenn du dich ständig mit der Optimierung deines Essens beschäftigst und starre Ernährungsregeln befolgst, wird dies normal für dich. Wenn du dich dann davon lösen willst, merkst du, dass du es nicht mehr kannst.

Alles was dann nicht in diese Normalität passt, fühlt sich fremd für dich an und strengt dich an, weil es nicht in die Gewohnheiten deines Unterbewusstseins passt. Und alles was da nicht rein passt, machen wir oft nicht, weil wir uns nicht anstrengen und umlernen wollen.

Das zu machen, was man schon immer gemacht hat, ist eben einfacher und sicherer.

Ein weiteres anschauliches Beispiel für den Gewöhnungseffekt sieht man auch bei Trainingsroutinen bspw. bei Läufern.

Läufer haben oft ihre Standardrunden. Sie kennen die Strecke, wissen, wie lang sie ist und laufen sie meist immer in die gleiche Richtung. Wenn sie diese Standardrunde dann einfach nur mal in umgekehrte Richtung läufen, fühlt sich das schon völlig anders an, obwohl der Weg doch derselbe ist. Für den Trainingseffekt ist die Richtung völlig egal, doch nicht für den Kopf.

Ein anderes Beispiel: Fitnessmenschen hassen es, wenn sie in ihrer Trainingsroutine gestört werden. Sie gewöhnen sich u.a. an feste Trainingszeiten, -orte und -geräte etc. Wenn sie hier etwas aus der Bahn wirft, spüren sie das als Unbehagen, welches sogar die Traningsleistung beeinflussen kann.

Bei Wettkämpfen (unabhängig von der Sportart) sieht man, dass alle Athleten auch ein festes Ritual in Vorbereitung auf den anstehenden Wettkampf haben und diesen auch brauchen, um sich zu fokussieren. Dies ist notwendig, um jedes bisschen Energie auf das Abrufen der Maximalleistung zu lenken, denn selbst Denken verbraucht kognitive Energie. Um diese nicht zu verschwenden, wendet man Routinen an, die sich durch ständige Wiederholungen so eingebrannt haben, dass sie automatisch abgerufen werden und keine kognitive Kapazität mehr erfordern. Das Erlernen von Übungstechniken läuft nach dem gleichen Prinzip.

Dies ist die Macht der Gewohnheit, der Vertrautheit, der Normalität, der Sicherheit. Das, was wir uns selbst beibringen, weil wir es immer wieder tun.

Objektiv gesehen, existiert diese Gewohnheit nicht. Sie ist ein von Menschen erschaffenes Konstrukt. Die dauernde Wiederholung der immer gleichen Handlung, wird zu einer gefühlen, emotionalen Realität im Kopf.

Diesen Mechanismus aufzulösen, erfordert eine höhere Bewusstseinebene, die viele Menschen gar nicht oder erst spät im Leben (meist nach Krisen) realisieren können. Doch was jedem bis dahin selbst in der Hand liegt, ist zu entscheiden, WAS sie sich zur Gewohnheit und Vertrautheit machen. Dies gilt für alles im Leben, ob Sprache, Zähneputzen, der Kaffee am Morgen, Training, bestimmte Lebensmittel, Menschen oder auf Insta Gurki, Fussel und Anna ansehen. Was ihr oft genug wiederholt, landet in eurem Unterbewusstsein und wird euch lenken.


“Was bedeutet ›zähmen‹?”
“Das wird oft ganz vernachlässigt”, sagte der Fuchs. “Es bedeutet ›sich vertraut miteinander machen‹.”
“Vertraut machen?”
“Natürlich”, sagte der Fuchs. “Du bist für mich nur ein kleiner Junge, ein kleiner Junge wie hunderttausend andere auch. Ich brauche dich nicht. Und du brauchst mich auch nicht. Ich bin für dich ein Fuchs unter Hundertausenden von Füchsen. Aber wenn du mich zähmst, dann werden wir einander brauchen. Du wirst für mich einzigartig sein. Und ich werde für dich einzigartig sein in der ganzen Welt …”“Ich verstehe allmählich”, sagte der kleine Prinz. “Da gibt es eine Blume … ich glaube, sie hat mich gezähmt …”

Zitat aus “Der kleine Prinz” Antoine de Saint-Exupéry

Bis bald Lustmolchies!

Rohner RP, Veneziano RA (2001): The Importance of Father Love: History and Contemporary Evidence. Review of General Psychology, 5(4):382-405.

Foto by Mateus Campos-Felipe