Ich sehe was, was du nicht siehst

Ich bin ja ein ganz großer Instagram Fan. Ich kann mir nichts schöneres vorstellen, als den ganzen Tag durch Insta zu scrollen und mir Werbung sinnloser Produkte und absurd schöne Menschen anzusehen, die versuchen etwas zu sein, was sie nicht sind und etwas sagen, was sie selbst nicht tun oder am besten die Kombination aus beidem. Danach geht es mir immer richtig gut.

Instagram ist auch so nett und filtert mir solche Launemacher extra heraus. So werden mir Posts angezeigt, bei denen Insta wohl vermutet, dass sie relevant für mich sind.

Kurz off-topic: Ich bin dazu übergegangen möglichst viele süße Tierbilder und-videos zu liken. Insta hat das verstanden und zeigt mir jetzt auch immer öfter süße Kätzchen, Hundebabies, Babynilpferde und Pandas an. Damit kann ich leben. Wenn ich zwischendurch mal stinkig bin oder der Tag doof war, inhaliere ich einfach eine Dosis süße Insta-Tiervideos und mir gehts wieder gut. In dem Fall ist mein Kitsch- Toleranzlevel einfach sehr hoch. Egal, wie schlimm der Tag auch war, mit rutschenden Pandas ist meine Welt wieder in Ordnung.

Weiter gehts: Natürlich ist das grundsätzlich sehr nett von dem Insta, dass er glaubt zu wissen, was gut für mich ist, doch liegt er mit seiner Einschätzung regelmäßig voll daneben. Es sei denn, er möchte mich bei der Marktforschung unterstützen.

Die klappt mit dem Insta nämlich sehr gut. Als Frau werden mir ganz viele Fitnessbarbies angezeigt, mit Adern am Bauch und seltsamen Proportionen, die mir ständig sagen, dass ich auch so aussehen soll, wenn ich fit sein will.

Ich schätze, Männern werden Fitnessbarbies angezeigt, an denen was dran ist, weil sie das evolutionsbiologisch eher anspricht. Die Männer sollen ja nicht aussehen wie die Barbies, sondern nur an denen Spaß haben und einfach nur liken und nette Komplimente machen, damit der Werbepost mehr Reichweite bekommt.

Nochmals kurz off-topic für meine männlichen Leser: Jungs, wenn eine Insta-Dame ihren Po in die Kamera hält und ein duckface macht, weiß sie natürlich, dass ihr davon ganz begeistert seid und fleißig liked und kommentiert. Das ist auch reizend von euch, wenn ihr versucht eure ganzen Gentlemen-skills à la “Schönes Foto, ich wünsche dir einen schönen Tag!” auffahrt. Nur leider muss ich euch mitteilen, dass das der Dame ziemlich egal ist und ihr nur Mittel zum Zweck seid. Es tut mir sehr leid, falls ich damit jede Art romantischer Gefühle zerstöre, doch bevor ihr euch hoffnungslos verliebt und euer Herz gebrochen wird, teile ich euch lieber die bittere Wahrheit mit.

So und wieder weiter: Manchmal frage ich mich jedoch, ob Insta es nicht ein klein wenig übertreibt. Häufig werden mir Fitnessbarbies mit hundertausenden Followern angezeigt, die nicht sehr fit aussehen, sondern eher so, als hätten sie vor lauter Fitness machen das Essen vergessen.

Statt deutlich antrainierter Muskelmasse und Performance, sehe ich dann Beckenknochen, große Köpfe an kleinen Körpern und eine “Definition”, die jede Frau auch ohne Sport hinbekommt, wenn sie sich nur lang genug runterhungert. Auf einmal sehen erwachsene Frauen wie kleine Mädchen aus und verhalten sich auch so. Diesen katabolen Zustand halten sie dann auch noch das ganze Jahr über.

Ich weiß nicht, ob ich da was falsch verstanden habe, aber ich frage mich dann immer, was das mit Fitness zu tun hat?

Außerdem verstehe ich auch nicht, wie die das mit dem Training und Leben dann machen. Wenn ich über lange Zeit zu wenig esse, bekomme ich eine Laune des Todes, meine Trainingsleistung sinkt und mein Gehirn macht komische Sachen.

Die evolutionsbiologische Zweckmäßigkeit der Speckrolle

Foto by Jorge Zapata
Foto by Jorge Zapata

Fangen wir beim Urschleim an: Das evolutionsbiologische Nonplusultra-Selektionskriterium für Langlebigkeit ist und war Fortpflanzungsfähigkeit. Fortpflanzen kann man sich aber nur, wenn genug Energie da ist, damit das Baby im Bauch der Frau von irgendwas leben und wachsen kann.

Sagen wir es, wie es ist: Wenn wir Frauen nicht so hartnäckige Problemzonen hätten und so wunderbar leicht fett werden könnten, wäre die Menschheit schon längst ausgestorben. Somit hätte sich auch die Spezies Homo Fitnessbarbie nicht entwickeln können. Diese evolutionsbiologisch besondere Spezies konnte sich im Überlebenskampf nur durchsetzen, weil wir heutzutage nicht mehr irgendwo in der Steppe rumrennen oder in Höhlen frieren müssen und in Supermärkten statt in der freien Wildbahn unser Essen jagen können.

Das Dumme ist also, dass die Natur nicht mit dem Fitnesskörperkult gerechnet hat. Der weibliche Körper ist nämlich so konstruiert, dass er der Frau einfach einen Strich durch die Rechnung macht, sobald die Energieverfügbarkeit in den Keller geht, weil dies das Zeichen ist, dass ein Baby im Bauch der Mutter dann nicht mehr ausreichend versorgt werden könnte. Das macht er immer, wenn er der Meinung ist: Der Frau geht es so schlecht, dass eine Schwangerschaft jetzt keine gute Idee wäre. Ist eigentlich auch logisch. Es wäre kein gutes Timing für eine Schwangerschaft, wenn man gerade vom Säbelzahntiger gejagt wird oder eine Hungersnot ausbricht.

Das, was wir in der Fitnesswelt als Training bezeichnen, ist für unseren Körper nichts anderes als die Flucht vor dem Säbelzahntiger und das, was wir als Diät bezeichnen, ist für ihn das Gleiche wie eine Hungersnot. Lustig eigentlich, dass Fitness heute so etwas wie Aussterben spielen, ist.

Wir Frauen fluchen ständig über unseren Menstruationszyklus, aber wenn man mal genauer darüber nachdenkt, ist es auch äußerst sinnvoll, eine körpereigene Alarmanlage mit sich herumzuschleppen, die immer losgeht, wenn im Kopf und Körper etwas schief läuft, über das man mal nachdenken sollte. Sehr praktisch!

Komischerweise feiert die Fitnessblase nun also einen Körperkult, der evolutionsbiologisch das Todesurteil wäre. Das, was wir als fit interpretieren, ist das, was unsere Sterblichkeit erhöht. In der Social-Media-Welt gilt: Je leaner, desto fitter.

Wer auch immer sich das ausgedacht hat, hat nicht so gut nachgedacht. Traurigerweise wird dieses Paradox auch von den Frauen gefördert, die am meisten darunter leiden.

Um eins klarzustellen: Hier geht es um kommerzielle Fitness, in dem Protagonisten die Strippen ziehen, denen das nicht bewusst ist. Das sind die, die auf Insta ganz viel zu sagen und zu zeigen haben, ohne wirklich was zu sagen.

Wer professionell Bodybuilding betreibt, wird sich wohl irgendwann einmal (hoffentlich) Gedanken dazu gemacht haben, ob er/sie diesen Preis zahlen will. Dann ist das eine persönliche Entscheidung.

Schwierig wird es jedoch, wenn eine Scheinwelt geschaffen wird, die nichts mit Gesundheit oder Athletik zu tun hat, in der offensichtlich krankhafte Störungen bestehen und das auch noch dazu missbraucht wird, Geld zu machen.

Das Doppelleben der Fitnessbarbies

Foto by Elijah O'Donnell
Foto by Elijah O’Donnell

Ich habe einmal eine Fitnessbarbie kennengelernt, deren Problem für jemanden, der die weibliche Physis und Psyche versteht, ganz offensichtlich war. Ein tägliches Defizit von über 1000 kcal, dazu täglich 2 Stunden Sport. Heraus kam eine “athletische” Fitnessbarbie mit einem Körperfettanteil um die 14 %. Das alles betrieb sie über Jahre, um in Form zu bleiben und tolle Fotos für Insta zu liefern, um ihr Sponsoring nicht zu verlieren.

Eine Hormonuntersuchung brachte das sehr “überraschende” Ergebnis zutage, dass ihr Östrogenspiegel zu niedrig war. Surprise! Das hätte ich dem Arzt auch ohne Untersuchung mitteilen können. Der studierte Arzt kam jedoch nicht auf die Idee, ihr zu mehr Essen und weniger Training zu raten.

Von all dem sah man auf Insta nichts. Stattdessen eine wunderschöne und leane Fitnessbarbie, die das Fitness-Instagame perfekt beherrschte, und nichts von ihrer innerlichen Gebrochenheit offenbarte.

Doch die Illusion wurde noch absurder. Sie konnte diese Form selbstverständlich nicht halten, nahm über Fett 15 kg zu. Doch auch davon sah man nichts auf Insta. Stattdessen postete sie weiter Fotos aus ihrer “Topform”-Zeit.

Das ist nicht der einzige Fall dieser Art, der mir begegnet ist. Im Gegenteil, es ist für mich normal, gebrochene Frauen kennenzulernen, die eine Art Doppelleben führen. So oft wurde ich um Rat gefragt, habe erfahren, was hinter der schönen Fassade wirklich steckt und sehe dann, dass sie wieder Werbung für das nächste Fitnessprodukt posten.

Vor allem der Teufelskreis aus Binge-Eating und Kompensation mit Hungern und Training ist schon fast Normalität. Solange das äußerlich zu erkennen ist, bekommen oft nicht mal Partner oder engste Vertraute etwas von der inneren Verzweiflung mit.

Doch diese Frauen verschwinden irgendwann von der Bildfläche oder fallen in ein anderes Extrem, in dem sie nach einer Art “Erlösung, innerer Balance und Natürlichkeit” suchen. Doch auch das wieder obsessiv weil sie ganz dringend etwas brauchen was funktioniert und ihnen dabei erlaubt, die Kontrolle zu behalten. Ihre Essstörung und zwanghaftes Verhalten wechselt einfach nur die Form. Oftmals werden über die Jahre einfach nur verschiedene Ernährunsreligionen durchlaufen, bis der Zusammenbruch kommt.

Dieser extreme Fitness-Lifestyle ist auf natürliche (heißt ohne Zuführung von Substanzen) Weise vielleicht ein paar Jahre durchführbar, vor allem in jungen Jahren. Doch das Blatt wendet sich und der Körper schlägt zurück, wenn man nicht mit anderen Mittelchen dagegen steuert.

Es gibt natürlich auch Frauen, die jahrelang gesund sehr lean sein können, doch das ist eher die Ausnahme. Es ist auch immer eine Frage, wie viel Muskelmasse die Frau mit sich herumschleppt: Denn je weiter fortgeschritten, desto schwieriger wird es auf natürliche Weise, dieses Niveau zu halten, weil die Muskulatur und das Training zusätzlich Energie frisst.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Fitnessbarbies, die heute stolz ihren Proteinpancake als Stillleben inszenieren (mit Proteinpulver X, das man günstig bei www.fitnessbarbiestuff.de mit 10% Rabatt und Gratis Lametta kaufen kann), in 10, 20, 30 Jahren nicht mehr zu sehen sein werden. Alternativ haben sie ihr Business so aufgebaut, dass sie genug Produkte am Markt platziert haben, um ein passives Einkommen zu generieren, damit sie nicht mehr ständig ihre Topform zeigen müssen. Denn als Fitnessbarbieoma wird das verdammt schwierig.

Foto by Matthew Henry
Foto by Matthew Henry