POWERLIFTING – oder die unbegründete Angst vor zu vielen Muskeln

Erst gestern teilte ich einen Beitrag von @PowerliftingMotivation auf Instagram mit folgenden Worten:

„Trust me, women who strength train are doing it for themselves, not for you. Women who lift weights have already eschewed social norms by touching iron in the first place and I guarantee they give zero fucks about your opinions on their bodies.“

Wer ist ich, und wieso genau trifft dieser Satz heute auf mich zu und vor ca. 2 1/1 Jahren hätte ich dem nie zugestimmt?

Mein Name ist Agnes, auf Instagram bin ich unter @agnese_la_strong_kante
zu finden – an diesem Namen ist mein Coach Nils Heim (Instagram: @ace_fitness_coaching , Facebook: Ace Fitness – Personal Training & Online Coaching) schuld, wie auch eigentlich an meinem ganzen Weg zum Powerlifting – ok schuld klingt nicht gerade passend, ich sage viel lieber: ihm habe ich das eigentlich alles zu verdanken.

Hauptberuflich bin ich Sängerin und seit ca. zwei Jahren behaupte ich von mir selbst den Sport „Powerlifting“ – oder auf deutsch Kraftdreikampf – zu betreiben. Doch geplant hatte ich das so nicht. Sport hat in meinem Leben eigentlich immer eine Rolle gespielt – angefangen mit Mutter-Kind-Turnen, Ballet, leidenschaftlicher Pferdemami mit zwei wunderbaren Pferden oder auch einfach ein Landkind, welches sich viel und gerne in der Natur bewegt hat. Aber mit Krafttraining oder auch Fitnessstudios allgemein hatte ich bis zu meinem 25. Lebensjahr eigentlich nullkommanichts am Hut.

Als ich mein Musikstudium begann, kam die erste Zeit in meinem Leben als ich gar keinen Sport betrieben habe. Noch dazu muss ich sagen, dass ich als Kind & Jugendliche und trotz der vielen Bewegung die ich hatte, nie wirklich schlank war oder meinen Körper als sportlich bezeichnet hätte. Das lag natürlich und sicherlich vor allem an der Ernährung – es gab bei uns immer viel Gemüse & Vollkorn und dieses sogenannte „Gesunde“, aber das Thema Protein fiel dabei immer unter den Tisch. Man wusste es einfach nicht besser. Außerdem neigte ich stark dazu, bei mental & psychisch anstrengenden Phasen & Situationen zu viel Süßes zu essen.

Als ich mein Gesangstudium begann, welches auch einen Ortswechsel mit sich brachte, machte ich keinen Sport mehr & nahm natürlich zu. Witzigerweise war aber nicht das der Grund wieso mein Freund & ich uns auf die Suche nach einem Fitnessstudio machten, sondern eher die Möglichkeit öfter & kostengünstiger zu saunieren – aber im Endeffekt war das die beste Entscheidung die wir treffen konnten, denn dann geht man ja natürlich auch trainieren. Aber auch ich hatte diese Angst, dass man als Frau mit Krafttraining Unmengen an Muskeln aufbauen kann und sich die Optik seines Körpers dann eher der eines Mannes angleicht. Aus mir damals logischer Konsequenz wurde ich zum typischen „CardioBunny“ – nahm damit und mit dem Ausprobieren diverser Diäten (better don’t ask) natürlich schnell und viel ab – aber sicher auch einiges an Muskeln – das war mir damals natürlich egal – Hauptsache die Waage ging runter und das tat sie

Mein Freund begann natürlich mit Krafttraining und durch die ganzen Social Media heutzutage half uns vor allem eine Gruppe bei Facebook: „Fitness & Bodybuilding – den Märchen ein Ende“ – dadurch haben wir dann u.a. auch erfahren, dass es ein neues Gym in unserer Stadt gibt, welches sich auf Freihanteltraining spezialisiert hat. Durch diese Gruppe habe ich im übrigen auch gelernt, dass ich es doch einmal mit Krafttraining probieren könnte… Also haben wir uns das „Power Athletics Gym“ in Nürnberg angeschaut & gleich angemeldet. Ja irgendwie kam dieser Sinneswandel nicht bewusst, sondern ich habe es also doch einfach mal ausprobiert – trotz der Ängste vor den vielen Muskeln. Ich habe dann mit dem FEM Plan von Fitness-Experts angefangen und war anscheinend für die Grundübungen nicht gänzlich untalentiert.

Aber dass mir damals jemand erzählt hätte, ich würde Wettkämpfe darin machen – nicht im Traum. Oft wurde mir das nahegelegt – aber ich wollte es damals nicht – genauer gesagt, ich hatte Angst davor. Angst davor zu versagen, Angst davor zu schlecht zu sein, Angst vor Konkurrenzkämpfen, was mir völlig zu wider ist, auch weil ich natürlich in der Musik oft genug damit konfrontiert wurde.

Meinen heutigen Coach Nils habe ich über meinen Freund kennengelernt, als ich ihn dann im September 2016 gefragt habe, ob er mir einen Plan schreiben würde (nicht für Powerlifting sondern als Ziel einfach straffer, schlanker, besser auszusehen) wurde daraus gleich ein ganzes Coaching – und aus meinem Ziel auf Optik zu trainieren wurde meine spontane Teilnahme am Insanity Meet 2016 in Berlin. Aus einem im Konjunktiv I & II zusammen und das Ganze dann noch Hoch 2 genannten Nebensatz, dass ich überlege evtl. irgendwann auch mal bei sowas mitzumachen, hat Nils alle Hebel in Bewegung gesetzt und siehe da, es war jemand abgesprungen und ich konnte mitmachen, zwar ohne Vorbereitung, ohne Technik, ohne Gürtel und Sleeves, aber ich konnte mitmachen und habe das auch getan.

Am meisten hat mich geärgert, dass ich in meinem Drittversuch beim Kreuzheben 132,5kg hochgerissen habe (ich habe vor Nils Coaching nie wirklich Kreuzheben gemacht) und mir wegen des Obergriffes (woher sollte ich auch was von Kreuzgriff oder Daumenklemme wissen) die Hand im Lockout aufging – aber genau das war einer der Momente, die mich anfingen ließen eine Faszination für diesen Sport zu entwickeln – man steht auf der Plattform und man kann eigentlich nur gegen sich selbst antreten – man steht auf der Plattform und wird von allen angefeuert, egal ob man megastark ist oder nicht, jeder gibt hier sein Bestes – und das Erfrischendste & Schönste für mich von allem – man steht auf der Plattform und deine „Konkurrentinnen“ (ich setze es mit Absicht in Anführungszeichen) stehen daneben und feuern dich an. So etwas kannte ich nicht aus dem Leistungsbereich.

Nach diesem Event habe ich mich in einem KDK-Verein angemeldet und starte seitdem für den BVDK (Bundesverband Deutscher Kraftdreikämpfen e.V.) und mittlerweile in unserem eigens gegründeten Verein SV Johannis Powerlifting e.V.

Was sich seitdem alles verändert hat?


Mein Körper

Zum Positiven – ok, das mit den Gewichtsklassen war für mich am Anfang ein bisschen Stress – ich hatte für meine Verhältnisse eh bisschen zu viel auf den Rippen und war kurz über einer Gewichtsklassengrenze und wollte natürlich unbedingt runter diäten – das hat mich am Anfang gestresst – mittlerweile ist es für mich wichtig, dass ich mich wohl fühle – zur Zeit habe ich einiges abgenommen und mir gefällt das ziemlich gut. Von Gewichtsklassen sollte man sich nicht kasteien lassen – es ist immer noch mein Hobby (ich musste und muss das auch immer noch lernen). Aber mir gefällt, dass alles viel straffer ist und wer mich jetzt trifft, weiß dass mir auch meine Muskeln heute gefallen und man mich auch öfters mal posend vor dem Spiegel findet :-p #strongisthenewsexyundso

Zur Ernährung

Dadurch, dass ich gerade Diät mache, tracke ich alles mit einer Trackingapp – natürlich erfordert dies einiges an Mehraufwand – und im Normalfall koche ich mir immer vor und nehme alles zu essen mit – trotzdem heißt das nicht, dass ich nicht auch mal ein Stück Schokolade oder so essen kann. Auf jeden Fall ernähre ich mich definitiv gesünder als vorher, da ich neben der Kalorienzufuhr vor allem auf meine Makro -und Mikronährstoffverteilung achte.

Fokus

Mein „Fokus“ hat sich komplett geändert – auf der Konzertbühne, in Proben, beim Unterrichten. Das alles wirkt sich natürlich auch auf meine Körperhaltung und Körperspannung aus – was natürlich viel selbstbewusster wirkt und nicht nur wirkt – meinem Selbstbewusstsein wurde durch den Sport einiges auf die Sprünge geholfen. Wahrscheinlich fallen mir da noch einige Dinge ein – das sind aber zur Zeit für mich die wichtigsten.

Eines ist auf jeden Fall klar, ein Leben ohne Training kann ich mir nicht mehr vorstellen – auch nach einem langen Tag liebe ich es ins Training zu gehen und alles zu geben und meistens ist es mir nie genug, mein Coach kann davon ein Liedchen singen. Fakt ist einfach, danach geht es einem immer besser, wenn es einem eh schon gut geht, geht es einem besser und wenn man einen schlechten Tag hatte, dann erst recht – dann kann man den Ballast ablassen.

Natürlich gibt es auch innerhalb des Trainings Situationen in denen es einem im Moment vielleicht nicht so gut geht – weil man gerade im Peak für einen Wettkampf ist, oder vielleicht dochnicht so gut geschlafen hat, oder auch wie bei mir manchmal, wenn man ein Gewicht bewegen soll, was man vorher noch nie getan hat & davor etwas Respekt hat – aber wenn man immer alles probiert und versucht und trotzdem macht – dann ist das einfach gut.

Als Frau Krafttraining und vor allem schweres Krafttraining (ganz wichtig ist dabei, dass ihr am Anfang jemanden habt, der euch mit der Technik hilft – sei es face to face oder per online coaching ) zu machen finde ich einfach wichtig – ob das nun mit Wettkämpfen sein muss oder nicht, das kann jeder selbst herausfinden und für sich entscheiden – es gibt einige Wettkämpfe wie das Insanity Meet oder der Bembel, für welche man nicht in einem Verein sein muss und auch keinerlei Normen oder ähnliches vorweisen muss und wo vor allem die Atmosphäre super ist, um auszuprobieren ob dies einem taugt.

Aber als Frau Krafttraining zu machen ist für mich gesehen mittlerweile einfach die beste Option – für meine physische und psychische Gesundheit. Abgesehen davon, kann ich sagen, dass ich heute meinen Körper optisch am meisten von meinem bisherigen Leben mag – früher habe ich die Figuren von 100m – Läuferinnen und Tennisspielerinnen immer bewundert und hätte gerne so einen Körper gehabt – ob das nun einigermaßen in die Richtung geht ist mir mittlerweile egal aber ich bin auf jeden Fall echt einigermaßen zufrieden mit meinem Körper 😉

Deshalb Ladies – ran an die Hanteln und bitte nicht nur an die pinken 🙂

Agnes Lepp
Sängerin & Vocalcoach

www.agneslepp.com

www.leppinskimusic.com

Annas Kommentar

Agnes‘ Geschichte beschreibt sehr gut den Weg, den ich langfristig für den klügsten Weg halte, auf dem Frauen ihre Fitness, ihr Wohlbefinden und ihre Form auf Dauer verbessern können: die Sportart finden, bei der sie Spaß haben und Erfolgserlebnisse sammeln können!

Frauen neigen sehr dazu, den Fokus primär auf die Ernährung zu legen und sich irgendwann so daran festzubeißen, dass alles aus dem Ruder läuft und Essen zu einem Stressfaktor wird.

Dass die Kalorienbilanz zählt, hat sogar Fitnessbarbie inzwischen kapiert. Doch es hat seinen Grund, warum einigen Frauen mit dieser bloßen Erkenntnis oft nicht geholfen ist, denn sie lässt die psychologische Komponente – wie Frauen ticken- vollkommen außer Acht.

Frauen können das mit dem Kaloriendefizit, der Disziplin und der Selbstkasteiung nämlich verdammt gut. So gut, dass sie auch gern fast nichts essen und sich dabei nicht anmerken lassen, wie schlecht es ihnen geht. Frauen sind nämlich die besten Schauspieler, die genau wissen, was sie tun müssen, um einen bestimmten Eindruck zu hinterlassen. Wenn eine Frau nach außen stark und selbstbewusst wirkt, kann sie innerlich dennoch das Gegenteil sein.

Wenn Frauen ihren Fokus primär auf das Training legen, in einer Sportart, die ihnen liegt, regelt sich in den meisten Fällen alles wie von allein. Wichtig dabei ist, dass der Sport nicht als Kompensationsmechanismus oder Ersatz für dereguliertes Essverhalten oder der Suche nach Anerkennung benutzt wird. Dann wirkt der psychologisch positive Effekt des Trainings nicht mehr, sondern wird eher Teil des Problems.

Warum funktioniert “training first” so gut?

Sich primär auf das Training zu fokussieren, funktioniert nicht unbedingt nur, weil das Training etwas mit dem Körper macht, sondern vielmehr noch, weil es etwas mit dem Kopf macht.

Frauen fangen an, die Kraft und das Leistungspotenzial, das in ihnen steckt, selbst zu SPÜREN. Wenn sie sich richtig anstrengen, vergessen sie im Training für kurze Zeit, wie sie aussehen, weil sie dazu gar keine Energie mehr haben. Vielmehr spüren sie die Kraft ihres Körpers und nehmen diesen für kurze Zeit völlig wertfrei wahr. Ein Zustand, den sie so nicht wirklich kennen.

Wenn das Gewicht auf der Hantel so schwer ist, sodass es die letzte Energiereserve und maximale Konzentration erfordert, die Bewegung noch korrekt auszuführen, bleibt einfach keine Energie mehr, noch daran zu denken, wie man aussieht. Oder, wenn man auf den letzten Metern vor der Marathon Ziellinie ist und nichts mehr als die völlige Erschöpfung spürt, ist der einzige Gedanke für den man noch Energie hat “Halte durch!”.

Frauen lernen so allmählich, nicht nur zu trainieren, um irgendwie auszusehen, sondern um besser in ihrem Sport zu werden und immer wieder dieses Endorphin Feuerwerk der “Ich habe es geschafft” Momente zu erleben.

Davon wollen sie mehr und mehr. Sie fangen an, netter und respektvoller mit ihrem Körper umzugehen und seine Signale besser wahrzunehmen. Sie spüren, wie schwach er ist, wenn sie nicht genug essen und wie sich dies auf ihre Stimmung auswirkt.

Auf der anderen Seite, nehmen sie endlich wahr, was sie erreichen können, wenn sie sorgsamer mit sich umgehen, wenn sie genug essen, schlafen und sich darauf konzentrieren, leistungsfähiger zu werden. Plötzlich besteht das Glücksgefühl weniger darin, Feedback für das Aussehen zu bekommen, sondern für die Kraft, die man sich selbst erarbeitet hat. Eine einfache Form der Selbstwirksamkeit.

Aus kleinen Mäuschen, die sich nichts zutrauen, werden Kampfschweine, die für ihre Ziele arbeiten und kämpfen. Dieser Effekt überträgt sich allmählich auch auf andere Bereiche des Lebens.

Agnes hat den Sport für sich gefunden, in dem sie aufgeht. Dies hat nicht nur ihr Selbstvertrauen gestärkt, sondern auch ihre Resilienz und ihre Sicht auf ihren Körper.  

Jede Frau soll den Sport für sich finden, in dem sie aufgeht. Das muss nicht Powerlifting sein, jedoch hat Krafttraining als Basis viele Vorteile. Vielleicht ist es für die eine Frau Tanzen, für die andere Sumo-Ringen. Einfach neugierig bleiben und ausprobieren.