Radieschen Kresse Salat

Ich habe das mit dem gesunden Essen über viele Jahre versucht. Ich war auch fest davon überzeugt, dass ich deswegen sehr gesund bin und vor allem, dass ich die Kompetenz besitze, andere belehren zu dürfen, was gesund und was ungesund ist.

Das glaubt ja jeder, der sich sehr gewissenhaft für Ernährung interessiert. Man weiß einfach alles über jedes Lebensmittel und muss das auch jedem mitteilen. Gruß an die militanten (!) Veganer an dieser Stelle.

Deswegen habe ich auch über viele Jahre Radieschen und Kresse gegessen. Ich muss dazu sagen, dass ich Radieschen und Kresse hasse und zwar so richtig. Nur Stangensellerie hasse ich noch mehr. Den habe ich auch gegessen.

Ich habe das auch sehr ernst genommen und täglich voller Überzeugung meinen Salat mit  Kresse und Radieschen dekoriert, weil ich dachte, dass mein Körper ohne seine tägliche Dosis sofort eine Mangelerscheinung an Radieschen- und Kresse-Molekülen bekäme.

Hübsch und gesund sah es zumindest aus und auf Instagram wäre ein spontaner Schnappschuss der Stillleben-Botanik in meiner Schüssel sicherlich gut angekommen. Natürlich hätte ich das Ganze dann zufällig noch mal besonders hübsch dekoriert und in Szene gesetzt um auch andere davon zu überzeugen, dass Radieschen Kresse Salat sehr gesund und lecker ist. So macht man das ja auf Instagram.

So nett und gesund das Grünzeug auch aussah, schien mein Bauch das Ganze nicht so zu gefallen, denn jedesmal bekam ich Bauchschmerzen, wenn der botanische Garten schließlich in meinem Magen landete. Beim Stangensellerie das Gleiche.

Warum macht man so einen Quatsch?

Da ich ein vorbildlicher Gesundheitsfetischist war, wusste ich, dass Radieschen und Kresse irgend so ein Zeug enthalten, das gut für die Haut sein soll. Das hatte ich mal in der Apotheken Umschau gelesen. Die müssen das ja wissen. Ich bin aber nie auf die Idee gekommen, die mal zu fragen, woher sie das genau wissen und wie viel ich genau ich davon essen müsste, damit sich das auch auf meiner Haut bemerkbar macht. Auf solche Fragen komme ich erst heute, weil ich jetzt weiß, wie solche Aussagen zustande kommen. Vielleicht hatte die Apotheken Umschau mir nämlich vorenthalten, dass ich erst eine Wagenladung Radieschen und Kresse essen müsste, damit das was, da so gut für die Haut sein soll, auch sichtbar wirkt.

Ich hatte damals sehr schlechte Haut, weil ich mir über Jahre die Hormone geschrottet hatte. Ich wollte nämlich schon von klein auf an gesund essen, weil man mir als 4 Jährige angehende Prima-Ballerina gesagt hat, ich sei zu dick. Da ich nicht die kleine Pummelfee im Tutu sein wollte, beschloss ich abzunehmen. In meinem kleinen Kopf bedeutete Abnehmen = gesund essen = sehr viel Gemüse essen. Das kennt wohl jede Frau und jedes Mädchen, die irgendwann mal auf die grandiose Idee gekommen ist, sich in ein Diät-Abenteuer zu stürzen.

In Kombination mit Leistungssport (Bei mir Marathon-, Berg und Traillauf) war das der direkte Weg in die “female athlete triad”. Vereinfacht gesagt, ist dies eine nette Triologie aus viel zu wenig Energie für den Körper, Amenorrhoe und Osteoporose. Doch das ist nur die physiologische Komponente.

All das habe ich über 15 Jahre durchgehalten. Ich weiß, warum ich es tat und weiß auch, dass ich bewusst bereit war, den Preis zu zahlen, wenn ich dafür besser werden konnte. “Besser” in diesem Sport bedeutet, dass man auf der Langstrecke so leicht und gleichzeitig so maximal leistungsfähig wie möglich sein muss. Dies ist ein verdammt schmaler Grad, der schon bei 1-2kg Körpergewicht kippen kann. Zahlen möchte ich an dieser Stelle bewusst nicht nennen. Doch ich kannte meinen Körper inzwischen so gut, dass ich wusste, bei welchem Körpergewicht meine persönliche Grenze lag.

Ok, zurück zum Radieschen-Kresse-Thema: mein Hirn hat also aus “Radieschen und Kresse sind gut für die Haut” > “Ich muss ganz viel Radieschen und Kresse essen” gemacht. So macht das das menschliche Gehirn immer. Nur hatte mein Hirn da offenbar ein Kommunikationsproblem mit meinem Magen-Darm-Trakt, denn der war davon nicht so begeistert. Die Bauchschmerzen und Blähungen wurden nämlich immer schlimmer und meine Haut nicht besser.

Da aß ich nun ach so gesund und war alles andere als das. Female athlete triad, Blähbauch und schlechte Haut…  Mir dämmerte, dass da was nicht stimmen konnte.

Als ich dann nach vielen Jahren und fortgeschrittener körperlicher Selbstzerstörung etwas klüger wurde, hab ich das mit den Radieschen und der Kresse gelassen. Die waren mir jetzt egal. Stattdessen habe ich wieder mehr so gegessen, wie ich es von meiner bulgarischen Oma gelernt hatte. Ich habe mir das gekocht, was mir meine Oma immer gekocht hat, denn da hatte ich nie Bauchschmerzen, obwohl meine Oma nicht wusste, was “gesundes” und “ungesundes” Essen ist. Für sie gab es nur Essen.

Die bulgarische Küche ist traditionell eigentlich auch extrem gemüselastig, nur werden eher mediterrane Gemüsesorten verwendet. Und Tonnen an Fett. Das mag mein Magen-Darm-Trakt sehr. Seitdem bin ich überzeugt, dass ich bulgarische Darmbakterien habe, die rebellieren, wenn sie kein bulgarisches Essen bekommen. Fakt ist, wenn ich hälsi Chiasamenpudding mit Gänseblümchendeko esse, bekomme ich Bauchschmerzen. Wenn ich in Öl ertränkte Zucchini esse, nicht. Vermutlich habe ich einfach unbelehrbare Darmbakterien, die den hälsi Fitness-laaaifstail nicht so toll finden. Beim genetischen Roulette für resistente Darmbakterien, die das hälsi Fitnessessen überleben, habe ich somit sehr schlecht abgeschnitten.

Wie auch immer. Inzwischen bin ich immer sehr skeptisch, wenn mich jemand darüber belehren möchte, wie gesund etwas ist, wenn jemand Aktivkohle über sein Essen streut oder unaussprechbare biologisch angebaute und importierte Dinge aus polynesischen Regenwäldern isst, die man auf einmal unbedingt braucht, wenn man gesund sein will. Mir ist ein Rätsel, wie meine Oma und all die Menschen, die keine dieser Superfood-Importwaren aus polynesischen Regenwäldern gegessen haben oder ständig damit beschäftigt waren, ihren Körper durchzuscannen, ob er auch ja mit allem versorgt ist, überhaupt überlebt haben. Doch ich habe stattdessen eine zugegebenermaßen wissenschaftlich schwer belegbare, eigene Theorie:

Für jemanden, der eine Oma hatte, die immer Radieschen-Kresse-Salat gemacht hat, sind Radieschen und Kresse bestimmt sehr gesund. Für jemanden, der eine Oma hatte, die immer ein Butterbrot gemacht hat, ist das Butterbrot gesund und für jemanden, dessen Oma immer Apfelpfannkuchen gemacht hat, sind Apfelpfannkuchen gesund. Ganz einfach eigentlich.

Das sollte die Apotheken Umschau auch mal schreiben.

P.S.: Ich mag auch keinen Grünkohl!

Foto by Rod Long
Foto by Rod Long