Raketenwisenschaft


Ernährung ist eine komplizierte Sache. Zumindest ist es das, wenn man Fitness macht.

Ich habe viele Jahre lang Leistungssport betrieben und war in dieser Zeit nie ernsthaft krank oder verletzt. Das kam erst, als ich mit Fitness begann.

Anfangs habe ich so ziemlich alles falsch gemacht. Wie das eben so ist, wenn man denen glaubt, die am lautesten schreien und am besten aussehen.

Doch irgendwann hatte ich das Gefühl, dass da etwas nicht stimmen kann. Ich habe mein Essen getrackt, habe penibel genau darauf geachtet, alles zu mir zu nehmen, was gesund sein soll, und ganz viele Pillen und Pulver konsumiert, um noch gesünder als gesund zu werden.

Doch ich wurde nicht gesünder als gesund, sondern gestresster.

Mit der Zeit brauchte ich Pillen zum einschlafen und Energydrinks zum aufwachen. Außerdem gefühlt tausend Pulver und Pillen, um das Training zu überleben und alles an Vitaminen und Mineralstoffen abzudecken, woran es mir eventuell mangeln könnte. Nach dem Motto: Sicher ist sicher und viel hilft viel.

Selbstverständlich hatte ich auch ein ganzes Arsenal an verschiedenen kalorienfreien Flavours und Proteinpulvern, weil das natürlich zur Grundausstattung eines jeden Fitnesszwangis gehört, der mit normalem Essen nicht überleben kann:
Schoko, Vanille und irgendein Fruchtgeschmack gehörten immer zu den Basics. Salted Caramel, Cookies & Cream, White Chocolate und Popcorn Caramel waren die back-up-Sorten gegen die geschmackliche Langeweile.

Die Supplement-Branche hat gut an mir verdient.

Abgesehen davon, dass ich das alles widerlich fand, habe ich mich irgendwann gefragt, was da mit mir passiert ist.

Früher als Läuferin brauchte ich nur einen Espresso vor dem Laufen und 2-3 Paar Laufschuhe pro Jahr. Das wars. Ich wusste auch nicht, wie viele Kalorien, Kohlenhydrate, Fette und Eiweiß ich eigentlich aß und wie viele Kalorien ich verbrauchte. Ich habe einfach gegessen und bin gelaufen und das ganz gut.

Jetzt brauchte ich einen ganzen Schrank voller Supps und musste ständig auf der Hut sein, nicht an einem Vitamin- oder Nährstoffmangel zu sterben. Doch statt besser ging es mir schlechter. Ich hatte Schlafstörungen und fühlte mich gestresst, getrieben und gereizt.

Der Unterschied zu vorher lag  eindeutig in dem ganzen Fitness-Schnickschnack, der mein Leben viel zu kompliziert machte.

Das Laufen habe ich geliebt, weil es meine Auszeit für den Kopf war. Doch nun kam ich zu einem Sport, bei dem mein Kopf noch mehr arbeiten sollte, als er es eh schon tut. Statt Kopf aus, hieß es Kopf an. Das war nicht der Sport, den ich wollte oder brauchte.

Also begann ich, alles auszumisten und meinen Fitnessalltag genau zu reflektieren. Was brauchte ich wirklich, was tat mir gut und warum war ich eigentlich der Meinung, das ich es brauchte und es mir gut tat?

Ich besann mich auf all das, was ich früher als Leistungssportlerin instinktiv für mich herausgefunden hatte: Welches Essen tat mir gut und mit welchem Rhythmus funktionierte ich am besten. Übrig blieb eine einfache Ernährung, die ich noch von meiner bulgarischen Oma gelernt hatte..

Meine Magen-Darm-Probleme und die Schlafstörungen gingen weg. Ich hatte den Kopf wieder frei für das, was mir wirklich wichtig war. Statt in Pseudofitness investierte ich in das Leben.

Ich kann den Großteil der Fitnessbranche nicht mehr wirklich ernst nehmen. Es geht nicht um Sport oder Leistungsfähigkeit, sondern um Geld, Profilierungsdrang und Kompensation mentaler Defizite. Unter Sport, Gesundheit und besserer Lebensqualität verstehe ich etwas anderes.

Was du konsumierst, wirst du irgendwann brauchen. Wenn du etwas brauchst, dann um etwas zu kompensieren. Was genau das ist, muss jeder für sich herausfinden. Doch die meisten verschließen die Augen davor.

Du brauchst Vitamin X, weil du Y nicht isst?
Du brauchst Pille B, weil du nicht einschlafen kannst?
Du brauchst Flavour Z, weil sonst dein Magerquark nicht schmeckt?
Du brauchst Proteinpulver A, weil du sonst nicht auf dein Protein kommst?
Du brauchst Lebensmittel K aus Supermarkt E, weil es das nur da gibt?
Du drehst durch, wenn du nicht so essen kannst, wie du es geplant hast?

Denk mal drüber nach!

Brauchst du das wirklich?
Wie lang kannst du das durchhalten?
Was tust du, wenn morgen ein Krieg ausbricht und es das alles nicht mehr gibt?
Was brauchst du dann?

Foto by freestocks.org

Wenn dir das jetzt übertrieben vorkommt, sieh dir mal wieder die Nachrichten an. Krieg und Hunger sind nach wie vor für einen Großteil der Menschheit Alltag. Dass du dich mit Fitness beschäftigen darfst, ist reiner Zufall und purer Luxus.

Fitness für die breite Masse ist keine Raketenwissenschaft und nicht so kompliziert wie dir suggeriert wird. Doch warum wird es überhaupt so kompliziert gemacht?

Illusorische Problemlösung

Foto by Ella Olsson
Foto by Ella Olsson

Jeder, der sich mit Fitness beschäftigt, ist ein kleiner Fitnessexperte. Besonders bei Frauen liegt der Fokus mehr auf der Ernährung als auf dem Training. Dies sieht man ganz einfach an all den Fitnessprofilen auf IG, deren Profil mit eindrucksvollen Essensbildern dekoriert ist und die ganz viele Tipps geben, wie man sich richtig und gesund ernährt und wie toll es ihnen damit geht.

So kommt es, dass sehr viele Frauen wahre Ernährungsexpertinnen sind, genau wissen, was gesund und was ungesund ist, die eine endlos lange Rezeptsammlung haben und einen ganzen Schrank voller hälsi Supps für ihre Selbstoptimierung. Doch seltsamerweise sind sie alles andere als wirklich zufrieden mit sich und ihrem Körper.

Wie kommt das?

Der food focus ist etwas sehr Typisches in der Fitnessbranche und spiegelt sich wunderbar auf allen Sozialen Medien wieder. Posts mit irgendwas rund um Essen laufen immer super und fangen sofort jede Aufmerksamkeit aller abnehmwilligen Frauen ein. Der Renner sind Cheat-Bilder oder Videos mit der Message “Ich kann das alles essen, nehme nicht zu und bin total glücklich.”

Das Paradoxe daran ist, dass je mehr Frauen dann zu Ernährungsexpertinnen werden, desto schlechter geht es ihnen. Sie wissen wie viel mg sie von Vitamin X pro Tag nehmen müssen und sie wissen, dass der Kichererbsenproteinkeks ganz bestimmt viel gesünder ist, als der Weißmehl-Zucker-Keks, weil man von dem darin enthaltenden Mehl sofort tot umfällt und der Zucker sofort süchtig macht.


Es ist nicht der Zucker, der süchtig macht, sondern die Beschäftigung mit dem Essen.


Wie bei allen selbstverstärkenden Prozessen, sowie bei allem, was wir tun, obwohl wir wissen, dass es uns nicht gut tut, ist das Dopamin schuld.

Jedes Mal, wenn wir ein Problem lösen, bekommt unser Gehirn einen Dopamin Kick. Das macht unser Gehirn, um sicher zu gehen, dass wir uns den Prozess, der zur Problemlösung geführt hat, auch ja merken. Dopamin ist nämlich nicht wirklich ein Glückshormon, sondern ein Lernhormon.

Das Dumme daran ist, dass genau dieser Dopaminausstoß auch stattfindet, wenn du herausfindest, was du bisher falsch gemacht hast, dass du dein Problem nicht gelöst hast. Wenn du also liest, dass der Brokkoli gesünder als der Blumenkohl ist, findet in deinem Gehirn ein kleines Dopamin Feuerwerk statt, weil du jetzt der Ursache, warum du nicht abnimmst, ganz bestimmt näher gekommen bist

Genau das passiert also immer, bei der verzweifelten Suche nach der nächsten Ernährungsreligion, nach dem nächsten Supp, nach dem nächsten Lebensmittel, dass dir dabei hilft, endlich den Körper zu bekommen, den du doch schon so lange wolltest.

Deswegen findest du die Beschäftigung mit Essen so toll. Deswegen liebst du es, herauszufinden, wie du dein Essen noch mehr optimieren kannst, was gesund und was ungesund ist, was falsch und was richtig ist. Deswegen akkumulieren sich im Laufe der Zeit immer mehr Lebensmittelrestriktionen in deinem Kopf, die deinen Alltag und deine Lebensqualität immer mehr belasten.

Das Problem ist nun, dass hier ein destruktives Muster manifestiert wird. Du hast eine Routine gelernt, die nicht wirklich zu einer Problemlösung führt, aber dennoch ein Belohnungsgefühl auslöst. Das heißt, deinem Gehirn ist mittlerweile egal, ob dein Verhalten wirklich zum Ziel führt. Am Ende bekommt dein Gehirn seinen geliebten Dopamin Kick. Ob du dein Problem löst oder nicht, ist am Ende für deine Gehirnchemie das Gleiche.

Exakt das läuft in unserem Gehirn ab, wenn wir Dinge tun, von denen wir wissen, das sie uns schaden und sie dennoch tun.

Nun sind so viele Frauen durch all die Ernährungstipps zu Ernährungsexpertinnen geworden und bekommen ihre Ernährung doch nicht auf die Reihe, weil die Restriktionen so hoch geworden sind, dass sie regelmäßig über all das herfallen, was sie sich sonst verbieten. Binge-Eating ist quasi schon normal in der Fitnesswelt.

Der Frust entsteht, weil sie sich nun regelrecht willenlos dabei zusehen können, wie sie all das essen, wovon sie doch wissen, dass es so ungesund ist und es dennoch tun. Am Ende bleibt das Gefühl versagt zu haben und nicht diszipliniert genug zu sein. Dann geht die Suche nach der nächsten Ernährungsreligion, die endlich zur Erlösung führen soll, weiter und die Motivation noch disziplinierter zu sein, sich noch mehr selbst zu geißeln, steigt und steigt ….

Reale Problemlösung


Foto by Daniel Monteiro
Foto by Daniel Monteiro

Aus diesem Grund poste ich kein Essen auf meinem IG Profil, sage nicht was richtig und was falsch ist und plädiere stattdessen für simples Oma Essen.

Wenn man keine ambitionierten Ziele in dem Sport hat, ohnehin schon seit Jahren einen Kampf gegen den eigenen Körper führt, wäre es vielleicht ganz sinnvoll mal die Strategie zu ändern, denn die bisherige hat offensichtlich nicht zu mehr Zufriedenheit geführt.

Aufklärung über Ernährung ist wichtig und gut, aber es gibt einfach zu viele Frauen, die von dem ganzen Essenthema regelrecht getriggert werden, ohne es selbst zu merken. Diese Frauen brauchen nicht noch mehr Informationen, sondern weniger!

Dieser Teufelskreis lässt sich nur durchbrechen, in dem man mit diesem destruktiven habit loop (habit loop = trigger+routine+reward) aufhört und durch ein Verhalten ersetzt, bei dem man am Ende wirklich sagen kann, dass es einem besser geht. Das klingt abstrakt, bedeutet aber einfach, einen Fitnesslaifstail Frühjahrsputz durchzuführen und sich bei jeder Handlung ehrlich zu fragen:

“Würde ich das auch essen, wenn ich nicht versuchen würde abzunehmen?”

“Bringt es mich weiter, wenn ich ein weiteres hälsi Fitness-laifstail Profil auf IG abonniere und mir weitere Ernährungstipps von Fitnessbarbie auf Youtube ansehe?”

“Tut mir das wirklich gut, wenn ich noch einen zero calorie Flavour neben meinen 537, die ich bereits habe, kaufe?”

“Soll mein Leben so die nächsten 10 Jahre weiter gehen?”

Die Antwort wird überraschend oft “Nein!” sein.

Dann liegt es immer in der eigenen Hand, welcher Option man nun nachgibt. Wenn du dich entscheidest, mal das zu tun, was dir Angst macht und dir schwerfällt und das immer wieder, wirst du merken, dass du von dem Keks nicht tot umkippst und er dir irgendwann keine Angst mehr macht. Dann bekommst du auch einen Dopamin Kick, aber diesmal mit Problemlösung, denn es wird dir besser gehen.

Fitness für die Frau, die einfach nur ein bisschen in Form kommen will, ist keine Raketenwissenschaft:

Iss vernünftig, streng dich beim Training an, überlege dir, wie du dir Gutes tun kannst, ohne dich dabei mit Essen oder deinem Körper zu beschäftigen und gammel nicht so viel rum.

That’s it.

Foto by Luke Dahlgren
Foto by Luke Dahlgren