Wie du dich selbst frohlügst oder auch der Autopilot in dir

Menschen denken ja immer, dass sie sehr schlau sind. Doch komischerweise machen sie dann doch immer wieder aus Versehen dumme Sachen, von denen sie wissen, dass sie dumm sind – können es aber dennoch nicht lassen.

Nun ja, wie erklärt man sowas logisch?

Gar nicht.

Weil es nicht logisch sein kann, wenn es nicht aus dem Teil unseres Gehirns kommt, wo Logik entsteht. Es kommt eher aus dem Teil, wo sich unser Gehirn lustige Geschichten ausdenkt, zusammengesetzt aus all den Erfahrungen unserer Vergangenheit. Einen kleinen Eindruck von dem Müll, der da produziert wird, bekommen wir von unseren Träumen. Wer da noch an die Rationalität der Menschheit glaubt, dem ist auch nicht mehr zu helfen.

Wie auch immer.

Der Knoten im Kopf

Foto by Oskar Keys
Foto by Oskar Keys

Wie kommt es nun zu einem so unlogischen Verhalten?

Destruktive Verhaltensmuster entstehen immer, wenn sich Informationen in unserem Unterbewusstsein irgendwann einmal in unserem Leben ungünstig verknoten, sodass das, was in den rationalen Teil unseres Gehirns gelangen soll, da nicht ankommt, weil es im verknoteten Unterbewusstsein feststeckt. Also im Grunde ist ohnehin alles miteinander verknotet im Hirn, aber so ungefähr kann man sich das vorstellen.

Ein Beispiel:
Lisa hat als kleines Mädchen von ihrer lieben Mama immer Prinzessin Lillifee Bücher bekommen. Die waren immer so schön pink. Deswegen fand sie Lisa immer besonders schön. Ab diesem Zeitpunkt hat Lisas Unterbewusstsein alles, was pink ist, mit Mamas Fürsorge, Belohnung und Geborgenheit geprimed.

Damit hat Pink für Lisa einen subjektiven, emotionalen Wert bekommen, der objektiv gesehen nicht existiert. Aber irgendwie doch, weil es fort an Lisas Interpretation der Farbe Pink sein wird, ohne dass sie das bewusst steuert.

Dieses unterbewusste Priming wird ihr Verhalten ein Leben lang beeinflussen. Wenn Lisa ihre Social Media Feeds durch scrollt, wird jede Fitnessbarbie, die pinke Produkte in die Kamera hält, ihr Unterbewusstsein triggern, ohne dass Lisa das merkt. Diese Produkte werden in Lisas Fall unterbewusst mit den emotionalen Werten “Fürsorge, Belohnung, Geborgenheit” assoziiert. Das Unterbewusstsein hat also zwei unabhängige Reize (Pink=positiv) miteinander gekoppelt, um Lisa eine sinnvolle Interpretation ihrer Welt zu ermöglichen, um handlungsfähig zu sein. So entstehen Einstellungen und Assoziationen, die wir als Instinkt, Bauchgefühl oder Kopf-versus-Herz-struggle wahrnehmen (wenn wir sie überhaupt wahrnehmen).

Wir wissen das heute so genau, weil Marketingmenschen das untersucht haben, damit sie wissen, wie sie Lisas dazu bringen können, ihre Produkte zu kaufen, die sie eigentlich gar nicht braucht. Lisa glaubt in eine Problemlösung (=pinkes Diätprogramm, Produkte zum Abnehmen) für ihre Probleme (=kann nicht abnehmen) zu kaufen, in Wirklichkeit befriedigt sie jedoch ein unterbewusstes Bedürfnis nach Geborgenheit, Fürsorge, Belohnung (=wenn ich einmal schlank bin, werde ich geliebt). Lisa merkt von all dem aber nichts, weil sie ihr Verhalten nicht reflektiert.

Das sollte allen Klugscheißern, die von sich glauben, total rational zu sein, zu denken geben. Dieser unbewusste Lernprozess läuft auch bei Klugscheißern so ab, ob sie wollen oder nicht. Er fängt bereits an, bevor wir als Kind überhaupt das Bewusstsein erlangt haben. Die Frage ist dann, ob jemand im Laufe seines Lebens in der Lage ist, destruktive Lernprozesse (Reize, die mit Emotionen verbunden sind) zu reflektieren und bereit ist, umzulernen. Das Ausmaß der destruktiven Lernprozesse bestimmt den kognitiven Energieaufwand, den das Umlernen dann später kostet.

Lisas erste Assoziation auf Pink wird affektiv immer eine positive Emotion sein. Doch wenn sie nicht weiter auf Fitnessbarbies herein fallen will, muss sie lernen, dass die positive Assoziation, die sie bei den Werbebildern von Fitnessbarbies spürt, eine Täuschung ist, von der sie ihre Kaufentscheidung nicht abhängig machen darf. Das Schwierige dabei ist, dass sie diese Assoziation nicht unmittelbar als positiv wahr nimmt, da sie unterbewusst ist. Vielmehr kann sie an sich lediglich beobachten, dass pinke Werbebilder schnell ihre Aufmerksamkeit einfangen.

Ein kleiner Selbsttest, um zu verstehen, wie sich das anfühlt:
Sieh dir einfach nur die folgenden beiden Bilder an.

Foto by Jessica Weiller
Foto by Jessica Weiller
Foto by feliperizo.co | heart made
Foto by feliperizo.co | heart made

Ohne, dass du auch nur darüber nachdenken musst, wirst du als Frau, dich von dem oberen Bild mehr angesprochen fühlen. Es gibt keinen weiteren Hinweis darauf, welches Produkt für welche Zielgruppe (Frau/Mann) gedacht ist, als lediglich die Farbgebung und die Marken.

Doch dein Unterbewusstsein erkennt sofort die Bedeutung der Message, da hier deine impliziten Einstellungen aktiviert werden, die du im Laufe deines Lebens gelernt hast.


Du kannst an diesem einfachen Beispiel selbst spüren, was eine implizite Einstellung ist: Es „fühlt“ sich irgendwie „falsch“ an, wenn du dir als Frau das Männerparfüm kaufen würdest, wobei es objektiv gesehen, keinen Grund gebe, dies nicht zu tun, denn die Kaufentscheidung sollte rational gesehen lediglich davon abhängig gemacht werden, ob dir der Duft gefällt.

Die Tatsache, dass du sofort verstehst, dass der rosa Flakon dich ansprechen soll, ist nichts weiter, als deine implizite Einstellung, die du durch unbewusstes Priming in deinem Leben gelernt hast. Dies ist die Macht deines Unterbewusstseins, das bestimmt, wie du die Welt siehst.

Wenn du das nächste Mal in die Parfümabteilung gehst, sieh dich um. Männer und Frauen sind exakt so aufgeteilt, wie es die Werbung will und keiner denkt darüber nach. Männer zu den dunklen Flakons, Frauen zu den pinken Flakons. Jeder agiert fremdgesteuert und keiner weiß es.

Dir sollte so auch bewusst werden, worin der tiefere Sinn des Primings besteht, denn ohne Priming werden Entscheidungen schwieriger, da du mehr nachdeken müsstest. Denken kostet Energie und Zeit und das wäre evolutionsbiologisch ein Aussterbekriterium. Wenn du erst nachdenken müsstest, ob der Säbelzahntiger, gefährlich ist, wärst du schnell weg vom genetischen Roulette. Deswegen agieren wir lieber ferngesteuert, als achtsam.

Hierbei geht es lediglich um eine Kaufentscheidung. Viel schwieriger wird es auf persönlicher Ebene, wie zum Beispiel bei sozialen Beziehungen, wo Menschen ihre frühkindlichen Denkmuster stets wiederholen. Deswegen entstehen toxische Beziehungen, bei der Menschen sich von Partnern angezogen fühlen, die ihre destruktiven Denkmuster bestätigen – obwohl es ihnen objektiv schadet, einfach nur, weil es sich so vertraut anfühlt. Die einzige Chance, da herauszukommen, besteht darin, nicht das zu machen, was sich “gut” anfühlt. Beobachtet man menschliches Verhalten mal genauer, sieht man, dass die Mehrheit dazu nicht in der Lage ist.

Der Energieaufwand, den man braucht, um gegen das zu handeln, was sich gut anfühlt, entscheidet darüber, wie “rational” jemand wirklich dauerhaft sein kann. Jemand mit mehr destruktiven Denkmustern wird schneller überfordert sein und damit schneller wieder in alte Muster zurückfallen als jemand, der weniger destruktive Denkmuster erlernt hat. Es ist also nicht NUR eine reine Frage der Willenskraft.

Deswegen funktioniert es eben nicht, wenn man Menschen einfach nur sagt, was richtig und was falsch ist. Man muss seine Denkmuster erkennen und Tricks und Strategien entwickeln, die ihn wenig Energie kosten, sie umzusetzen. Deswegen bringt es nichts, einer Magersüchtigen zu sagen “Iss doch einfach”. Vielmehr gibt ihr das noch mehr das Gefühl, dass sie nicht diszipliniert genug und unfähig ist; was sie eh schon von sich glaubt. Stattdessen muss sie über viele kleine Mini-Schritte das Essen erst wieder lernen.

Es ist eine Frage des Zufalls, wer ein bisschen mehr Glück in seiner Biografie und der genetischen Lotterie hatte, sodass der Knoten im Hirn etwas kleiner ist und die Willenskraft, rationale Entscheidungen zu treffen, weniger Energie kostet. Deswegen sollte man vorsichtig mit vorschnellen Urteilen über mangelnde Disziplin sein. Der Aufwand, das gleiche Maß an Disziplin aufzubringen, ist stets individuell.

Das Unterbewusstsein ist also so etwas wie eine Brille mit Filter. Jeder von uns hat so eine Brille mit anderem Filter, die bestimmt, wie wir die Welt sehen. Menschen mit größerem Knoten im Kopf müssen erstmal erkennen, dass sie durch irgendwelche Ereignisse in ihrem Leben eine Brille bekommen haben, die alles völlig verzerrt darstellt. Diese Menschen müssen erst lernen, dass die Welt, wie sie sie wahrnehmen, quasi nicht existiert. Das neu zu lernen fühlt sich dann ein bisschen an, als würde man blind durch die Welt laufen müssen. Das ist verdammt anstrengend und frisst kognitive Energie.

Deswegen ist es manchmal energieeffizienter, an den eigenen Bullshit, den sich das Hirn zusammen reimt, zu glauben, statt sich selbst kritisch zu hinterfragen. Das nennt sich dann frohlügen, bei dem als Nebenwirkungen dann alle möglichen kognitiven Verzerrungen auftreten.

Der Fitnessknoten im Kopf

Foto by Chris Benson
Foto by Chris Benson

Jetzt die Kurve zum Fitnesslaifstail bekommen:

Nun könnte man bei genauerer Betrachtung der Fitnessmenschen annehmen, dass sich da auffällig viel in den Gehirnen verknotet hat. Anders lassen sich einige Phänomene nicht erklären. Das gilt sowohl für die Menschen, die einem sagen, wie man Fitness machen soll, als auch für die Menschen, die versuchen, das dann umzusetzen.

Da wäre zum Beispiel das oben genannte Phänomen, sich selbst zu belügen und den Quatsch, den man sich dann selbst einredet, auch noch zu glauben.

Fitnessmenschen wollen nämlich immer gesund essen und dann auch nur Sachen ohne Kalorien, weil sie Dünnsein schön und gesund finden. Denn das höchste Fitnesslevel hat man erreicht, wenn man kurz vor dem Hungertod steht.

Das Problem dabei besteht darin, dass sie das mit dem gesunde Sachen essen ohne Kalorien nicht lange aushalten und dann über alle ungesunden Sachen mit ganz viel Kalorien herfallen.

Dann folgen optional 3 Szenarien:

(A priori eine Begriffsdefinition, um Depressionen vorzubeugen; dick:= fluffig, dünn:= definiert. Zu rhetorischen Zwecken verbleibe ich bei “dick” und “dünn”, da der Kontrast so wunderbar die kognitive Verzerrung illustriert).

Fall 1:

Sie werden dick, weil sie nicht mehr aufhören können, ungesunde Sachen mit vielen Kalorien zu essen.

Fall 2:

Sie werden erst wieder dick, weil sie nicht mehr aufhören können, ungesunde Sachen mit vielen Kalorien zu essen, dann aber wieder dünn, weil ihnen Dicksein Stress macht. Danach werden sie noch ein bisschen dicker, dann wieder noch ein bisschen dünner und wieder ein bisschen dicker usw. Davon bekommen sie dann Burnout und wenden sich irgendwann vom Fitness laifstail ab, fangen an zu meditieren und werden vegan.

Fall 3:

Sie bleiben dünn und eliminieren alles aus ihrem Leben, das das Dünnsein bedroht. Also quasi das Leben selbst.

Egal welches Szenario eintritt, allen gemein ist, dass sie sehr unglücklich machen und der kleine rationale Teil des Gehirns, der neben dem verknoteten Unterbewusstsein noch übrig geblieben ist, nun auch noch fast ausschließlich mit Essen bzw. Nicht-Essen beschäftigt ist.

Im Grunde lebt die ganze Fitnessindustrie von diesem Phänomen: Ganz viele schlaue Menschen erklären, wie man weniger Kalorien isst. Das bekommt aber keiner so wirklich hin. Dann essen alle aus Versehen zu viel und suchen dann reumütig wieder Rat bei den Menschen, die ihnen wieder sagen, dass man weniger Kalorien essen soll.

Na ja, so geht das immer weiter, aber die Probleme bleiben die Gleichen, weil Menschen nicht rational sind und der Energieaufwand, das Richtige zu tun für viele Menschen in ihrem Alltag und mit ihrem Knoten im Kopf, zu hoch sein kann.

Die Fitnessindustrie kann also so lange wachsen wie Menschen ihre destruktiven erlernten Denkmuster nicht reflektieren, obwohl man doch denken könnte, dass das mit dem weniger essen und besser werden im Training inzwischen auch die letzte Fitnessbarbie erreicht haben dürfte. Doch dies ist offensichtlich nicht der Fall.

So kommt es, dass Menschen immer wieder übermotiviert in den Fitnesslaifstail starten und sich 3 Tage ganz viel Mühe geben, ganz wenig Kalorien zu essen. Dann gucken sie in den Spiegel mit der Erwartung, etwas anderes zu sehen als die 3 Tage davor. Doch das passiert nicht.

Das sorgt für Verwirrung. Wie kann das sein?
Die Social-Media-Welt liefert uns doch handfeste Beweise, dass alle Fitnessbarbies das spielend leicht hinbekommen. Natürlich hat man diese Spezies noch nicht in freier Wildbahn entdeckt, sodass man sie mal fragen könnte, wie sie ihr Leben neben dem Vollzeitjob an ihrem Körper noch auf die Reihe bekommt.

Na egal, jedenfalls wundern sich dann immer wieder ganz viele Frauen, wenn das eigene Spiegelbild nach 3 Tagen Kaloriensparen immer noch keine Veränderung zeigt. Dann hat das alles eh keinen Sinn mehr. Stoffwechsel ist eingeschlafen, Mama und Papas doofe Gene sind Schuld oder sowas. Man hat sich doch so bemüht und täglich seinen Salat gegessen.

Foto by rawpixel
Foto by rawpixel

Nun ja. Den Salat hat man sicherlich gegessen, aber auch die Gummibärchen von der Kollegin im Büro. Das ist natürlich eine gemeine Aktion von der Kollegin, die Tüte da einfach so verantwortungslos liegen zu lassen. Da kann man ja nicht dafür, wenn die kleinen bunten Dinger in den Mund wandern. Das machen die quasi allein, diese hinterhältigen Wichte. (Priming: Snack=klein keine Kalorien)

Der tägliche Cappuccino morgens zählt auch nicht. Weil das ist ja der Kaffee am Morgen und morgens trinkt man eben immer Kaffee. Das bisschen Milch kann ja nicht so schlimm sein. (Priming: Capuccino=Kaffee ⇒ keine Kalorien)

Und für die Schokotorte auf der Geburtstagsfeier der Freundin kann man auch nichts, weil das ja schließlich die Freundin ist und da wird man implizit gezwungen, Torte zu essen. Wenn man das nicht macht, wars das nämlich mit der Freundschaft. (Priming: Geburtstagstorte=seltenes Event ⇒ keine Kalorien)

Alkohol ist auch so ein Ding. Immer wieder muss man seine soziale Kompetenz unter Beweis stellen und wird gezwungen, mit anderen Menschen Spaß zu haben, indem man sich den Spaß antrinkt, um sich gegenseitig zu ertragen. Da muss man auch immer mitmachen, weil man sonst die spießige Spaßbremse ist, und man riskiert, nicht mehr dazu zu gehören und dazu gehören ist ja wichtig. Nein sagen ist äußerst unangenehm.  (Priming: Trinken ≠ Essen ⇒ keine Kalorien)

Das Leben will einem einfach immer einen Strich durch den Fitnesslaifstail machen. Echt unfair.

Den Knoten entknoten

Wenn wir nicht das tun, was notwendig ist, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, könnte es vielleicht auch daran liegen,


1. dass wir es nicht wirklich wollen oder


2. Dass das wahre zugrundeliegende Bedürfnis eigentlich ein anderes ist, von dem wir uns ablenken, weil es uns überfordert.

Was soll das jetzt heißen?

1. Wenn du es nicht wirklich willst:

Das ist dann sowas wie:

“Ich kann nicht abnehmen.”
“Ich habe schon alles probiert.“
“Ich esse doch gesund.”
“Ich kann nicht so wenig essen.”
“Der Tag war so stressig.”
“Ich habe eine schlechte Genetik.”
“Ich habe keine Zeit.”
„Ich muss mir auch mal was gönnen.“

Alles legitime Gründe, mal kurz bockig sein zu dürfen.


Aber wenn du auf die Gummibärchen, den Cappuccino, die Torte, den Alkohol nicht verzichten kannst, bedeutet das, dass du nicht bereit bist, den Preis zu zahlen, der notwendig wäre, dein Ziel zu erreichen. Es kann durchaus sein, dass der Preis, den du zahlen musst, weitaus höher ist, als jemand anderes, weil dein Knoten im Kopf größer ist oder dein Leben nicht genug Barrieren hat, dich von destruktiven Verhaltensmustern abzuhalten. Dennoch ändert es nichts an der Tatsache, dass auch du den Preis zahlen müsstest, wenn du dein Ziel erreichen möchtest.

Dies ist der entscheidende Punkt, den Menschen nicht verstehen: Sie vergleichen sich mit anderen und jammern rum, dass es bei anderen so leicht aussieht. Doch sie vergleichen lediglich externe Soll-Zustände und keine internen + externen Ist-Zustände, was das Bild schnell relativieren würde.

Was heißt jetzt “Preis zahlen” im Sinne einer absoluten Topform, die vielen Frauen vorschwebt:

  • Mehrmals pro Woche trainieren gehen, auch wenn du keine Lust und Zeit hast
  • Training, bei dem du irgendwann leiden wirst, weil du im Kaloriendefizit bist
  • zu deinen Kindern, Freunden, Familie die meiste Zeit Nein sagen, weil du in Form kommen willst
  • dein Essen kontrollieren
  • Heißhunger nicht nachgeben
  • auf deinen Schlaf achten
  • mit Stimmungsschwankungen fertig werden
  • unter Konzentrationsschwäche und Antriebslosigkeit dennoch performen

Die Gummibärchen, der Cappuccino, die Torte und der Alkohol stehen nur symbolisch für all die kleinen Ausnahmen, die du dir immer wieder “gönnst” und die sich unbedacht aufsummieren.

Das klingt hart und radikal, ist aber einfach so. Menschen wollen immer haben, aber verstehen einfach nicht, dass sie dafür den Preis des Verzichts zahlen müssten.  

Foto by Charles PH
Foto by Charles PH

Ja, rein theoretisch kann man auch in einer Diät Torte & Co. essen. In der Praxis sieht das aber so aus, dass es oft nicht bei einem Stück Torte bleibt, sondern es sehr wahrscheinlich die ganze Torte wird.

Die Kunst des Diätens besteht weniger in der Erkenntnis, dass ein Kaloriendefizit notwendig ist, sondern dass Menschen versuchen müssen, dies in ihren Alltag zu pressen und überall Barrieren schaffen müssen, weil sie von sich wissen, dass ihr Verhalten eben nicht rein rational gesteuert wird und die Realität eben nicht der Instagram-Ponyhofwelt entspricht.

Das ist eben der Preis für einen “perfekten” Körper. Doch über diesen Preis redet keiner. Fitnessbarbie erzählt eben nicht, dass sie von früh bis spät nur ihr Training und ihre Ernährung im Kopf hat. Dass sie fast täglich im Gym ist, sie abends nicht weggeht, ständig an Essen denkt, Angst hat zuzunehmen, weil ihr dann die Follower und Sponsorings flöten gehen, die sie doch braucht, um ihren Fitnesslaifstail zu finanzieren. Wenn man täglich stundenlang mit seinem Aussehen beschäftigt ist, hat man eben keine Zeit, einem normalen Job nachzugehen. Also hält man Fitnessprodukte in die Kamera und bietet Rabattcodes an, um sich ein Leben rund um das eigenen Aussehen finanzieren zu können.

Es ist kein Zufall, dass besonders populäre Fitnessbarbies alle noch kleine Mädchen Mitte 20 sind, meist ohne Kinder, mit Putzfrauen, persönlichem Friseur und Kosmetikerin und einem ganzen Team, dass hinter ihnen steht, um ihr überhaupt zu ermöglichen, in den sozialen Medien alles so easy peasy aussehen zu lassen.

Sie ist eben keine Mutter von 3 Kindern mit Vollzeitjob und einem Mann, der dem Aufwand eines 4. Kindes entspricht, weil sie für ihn immer mitdenken muss.

Der Preis, den diese Mutter für einen Fitnessbarbie-Körper bezahlen müsste, wäre quasi, die Verantwortung für all das von sich zu schieben, um genug Zeit für sich und ihren Fitnesslaifstail zu haben. Da sie es nicht macht, ist offensichtlich, dass ihr wahres Leben Priorität hat. Und das ist auch gut so.

Den Preis, den Fitnessbarbie zahlt, ist, dass sie eben keine 3 Kinder hat, den Druck hat, immer gut auszusehen, ihr Einkommen von diesem Verhalten abhängig ist und sie deshalb leicht bekleidet Fitnessprodukte auf Insta bewerben muss.

Man kann bereits mit ein paar Basics in Form kommen, aber selbst die müssen organisiert und langfristig eingehalten werden und das allein kostet vielen Frauen in ihrem fremdbestimmten Alltag schon viel Energie. Eine absolute Topform erfordert konsequentes, forderndes Training, Kalorienkontrolle und Stress- und Regenerationsmanagement. Wer schafft das schon im real life?

Ergebnis ist, dass viele Frauen frustriert aufgeben, weil sie nicht erkennen, was sie wirklich leisten und sich stattdessen mit einer surrealen Fitnessbarbie aus einer künstlichen Ponyhofwelt vergleichen, die doch extra dafür geschaffen wurde, um genau diese negativen Emotionen zu provozieren, um die Produkte zu kaufen, die diese Emotionen beseitigen sollen.


Und das ist idiotisch. Sinnvoller ist es, mal eine ehrliche Pro-Contra-Liste aufzustellen, mit all den Vor- und Nachteilen, die das reale Leben im Vergleich zum Fitnessbarbie-Leben hat.

Mache dir bewusst, welchen Preis du zahlen müsstest, um wirklich die “Topform” zu bekommen, die dir vorschwebt und überlege dir, ob du das wirklich willst.

Überlege dir auch, ob du das alles auch wollen würdest, wenn du nicht all die Bilder von anderen Frauen in Topform im Kopf hättest.
Stell dir eine Welt vollkommen ohne Medien vor. Würdest du diese Topform dann immer noch genauso wollen?

Foto by Pim Chu
Foto by Pim Chu

Ich bin mir sehr sicher, dass sich viele kleinlaut eingestehen würden, dass sie den Preis nicht wirklich zahlen wollen und dass es mehr um den Frust geht, der durch Vergleiche mit einer illusorischen Norm entsteht, die lediglich einem erlernten Prozess entspringt. Auch Schönheitsideale sind nichts anderes als Priming. Nicht umsonst, haben sich Schönheitsideale im Laufe der Jahre immer wieder geändert und unterscheiden sich je nach Kulturkreis.


2.  Kompensationsmechanismen für Knoten im Kopf: Emotionales Essen

Anmerkung: Das Thema ist weitaus komplexer und hat auch physiologische Ursachen. Hier geht es lediglich um einen psychologischen Effekt.

Kommen wir zum 2. Grund, der dich abhält, das Richtige tun:

Wenn du immer wieder über Essen her fällst, obwohl du eigentlich abnehmen willst, scheint in dem Moment offenbar etwas anderes in dir wichtiger zu sein als das Bedürfnis, abzunehmen.

Das könnte zum Beispiel das Bedürfnis nach Abgabe von Kontrolle sein, weil du in deinem Leben so viel Verantwortung, Druck und Kontrolle aushalten musst, dass noch mehr Kontrolle und Disziplin das Fass zum Überlaufen bringt.


Das passiert immer, wenn unser “Energiespeicher” für kognitive Anstrengung aufgebraucht ist. Das geht in unserer heutigen Zeit sehr schnell, weil wir nicht mehr nur temporären Stressoren ausgesetzt sind, sondern chronisch Stress haben. Früher mussten wir höchstens einmal vor dem Säbelzahntiger weglaufen, Futter suchen und soziale Konflikte mit der “Hau drauf”-Technik mit der Keule lösen.

Jetzt haben wir 24/7 Stress, weil wir Rechnungen bezahlen müssen, böse Briefe im Briefkasten haben, wie Fitnessbarbie aussehen müssen, haben Beziehungsstress weil, der Freund nicht schnell genug antwortet, obwohl er die Nachricht gesehen hat, und in dem ganzen Chaos Kinder großziehen müssen, die auch von allen Seiten Stressoren ausgesetzt sind. On top sagen uns die Medien dann auch noch immer, dass wir dennoch nicht gut genug sind, zu viel essen und zu fett sind, während sie uns gleichzeitig stets mit Essen locken. Mit der Keule um uns schlagen dürfen wir auch nicht und den eingangs beschriebenen Knoten im Kopf als zusätzliche Hürde haben wir auch noch. Dank des medialen overkills in unserem Alltag, rennen wir mit so viel Priming in unseren Gehirnen herum, die uns wie ferngesteuerte Roboter zum Konsum zwingen sollen, dass es einfach schon zu viel ist.

Dafür ist unser Gehirn nicht gemacht. Kurze, akute Stressreaktionen sind gut, chronische eher nicht. Und weil das dem Gehirn dann irgendwann zu viel wird, holt es sich einfach, was es will. Um abzuschalten und Verantwortung und Disziplin vergessen zu können, fällst du über das Essen her.

Du interpretierst das als Kontrollverlust, weil du Dank des “no pain, no gain”-Fitnesslaifstails so konditioniert bist, dass du stets alles kontrollieren sollst, weil du gelernt hast, dass Kontrolle gut ist. In Wirklichkeit ist es jedoch ein Hilfeschrei deiner Psyche nach Wohlbefinden, Entspannung und Geborgenheit.

Dein Körper ist kein Objekt, das sich in eine Form pressen lässt, sondern ein sensibler Organismus, der stets versucht, in Balance zu bleiben, damit es dir gut geht. Wenn dein Körper in irgendeiner Form extrem reagiert, bedeutet das, dass irgendetwas aus dem Gleichgewicht geraten ist.

Wir sind es nun so gewohnt, in dem Fall noch härter gegen ihn zu arbeiten, damit er auch ja unserem Willen gehorcht. Noch weniger essen, noch mehr trainieren, noch mehr Disziplin und Kontrolle neben einem Alltag, der schon zu viel Energie kostet. Es ist nur logisch, dass das in einer negativ Spirale endet.

Die Lösung besteht nicht darin, Kontrolle abzugeben und jedem Impuls nachzugeben. Im Gegenteil. Sondern die Kontrolle auf die wahren INTERNEN Bedürfnisse zu lenken.

Wenn der Impuls zu eskalieren und alles um sich herum zu vergessen so groß ist, dass man zu etwas greift, dass schnell Erlösung schafft, auch wenn man sich danach darüber ärgert, sollte man sich vielleicht einmal fragen, was man in seinem Leben verändern sollte, damit das Gehirn nicht mehr zu solch extremen Maßnahmen greifen muss, um sich zu entspannen.

Wenn das wahre zugrundeliegende Bedürfnis wahrhaft das Essen wäre, dürfte es ja befriedigt sein, indem man isst. Doch jeder, der binged, fühlt sich danach hundeelend. Also kann nicht das Essen das Problem sein…

So ist es kein Zufall, dass Essstörungen und vor allem binge-eating schon normal in der Fitness-Szene sind und bereits öffentlich gelebt werden, ohne dass jemand etwas sagt. Es ist auch kein Wunder, dass sich viele psychische Störungen in dieser Szene finden oder Biografien mit frühen Demütigungen, Zurückweisungen, Ablehnung etc. Das alles sind die oben beschriebenen Knoten im Kopf. Es ist auch kein Wunder, dass die Protagonisten oft von einem Extrem ins andere wechseln und es ist auch kein Wunder, dass diejenigen noch sehr jung sind. Oder kennt jemand eine shredded 50 jährige Fitnessbarbie?

Es ist kein Wunder, dass Menschen immer dann scheitern, wenn sie versuchen so rational wie möglich zu sein, weil sie es nicht sind. Und die, die es von sich behaupten, sind es oft am wenigsten.